© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

CD: Peteris Vasks
Berechtigtes Pathos
Sebastian Hennig

Wenn ich über unser gegenwärtiges Leben nachdenke, kann ich nur zu dem Schluß kommen, daß wir uns dem Ende aller Zeiten gefährlich nähern.“ Das sind die Worte eines Künstlers, für den Europa und die Welt sich deckende Begriffe geblieben sind. Die Intensität seiner Musiksprache beruht auf dem Gefühl der Bedrohung seines Volkes. Alkoholismus und Bürokratie zermürbten die Lebenskraft der Letten. Pēteris Vasks’ Tonkunst hat nichts von ihrer Dichte eingebüßt nach der Befreiung vom sowjetischen Joch, welche die jahrzehntelangen Verwüstungen nicht ungeschehen machen konnte.

Das jüngste der eingespielten Werke, das dritte Streichquartett von 1995, macht es hörbar. Dem Pathos dieser bitter-schönen Musik entspricht ein fast prophetisches Selbstbewußtsein: „Es ist mir eine Verpflichtung, Licht in das Leben meines Volkes zu bringen, ein Volk, das so gelitten hat und trotz der zurückgewonnenen Freiheit noch so weit entfernt von wirklicher Freiheit ist.“ Bei einer Nation mit einer entwickelten Musiktradition, wie der deutschen oder russischen, bestünde wohl Grund zur Skepsis gegenüber so vollmundigen Bekenntnissen. Aber die vielfach behinderte und bedrängte Nationalkultur der Letten findet hier zum ersten Mal einen genuinen Ausdruck von gesamteuropäischer Geltung.

Formale Gestaltung und inhaltliche Aussage stehen in einem idealen Verhältnis zueinander. Die getragene Schwermut eines Adagio hinterfängt die aleatorischen und dissonanten Partien. Der Gesang der Vögel durchzieht als ein Grundmotiv die Musik des Sohnes eines baptistischen Priesters. „Als Pfarrer hat mein Vater mit seinen Predigten immer innigen Glauben und glühende Liebe ausgedrückt. Ich mache genau dasselbe mit meiner Musik. Mit beiden Beinen auf der Erde stehend sehe ich zum Himmel empor und, nach Harmonie strebend, singe ich das Lob der Schöpfung im Naturzustand.“

Die Vögel sind Boten der Freiheit und Anmut. Ihrer Flugbahn gesellt sich die Hoffnung aller Gefangenen, Deportierten und Verbannten. Im jungen Parzival wecken sie im Zauberwald Soltane die Sehnsucht nach einer ritterlichen Welt außerhalb seines kindlich beschränkten Horizonts. Die lichten Klänge stehen wie die Helligkeit Rembrandtscher Gemälde auf einem Fonds von gebrochener, aus sich strahlender Dunkelheit. Vasks dazu: „Ich gehe durch ein Gefühl des Pessimismus, um schließlich zu der Gewißheit zu gelangen, daß ich mit meinem letzten Atem doch Ja zur Schönheit der Welt sage.“

Vasks Musik beruht letztlich auf der spätromantischen Musiktradition deutscher Provenienz. So wie Beethoven den musikalischen Ausdruck der napoleonischen Ära bestimmte, so wurde Dmitri Schostakowitsch das Leitgestirn für die Epoche Stalins und seiner langen Schatten. Durch und mit dessen überragender Gestalt behaupten sich die eigenwilligen Beiträge zum Beispiel des Wolgadeutschen Alfred Schnittke, des Polen Krzysztof Meyer oder eben des Letten  Pēteris Vasks. In diesen Partituren zeichnet sich einerseits die große Verheerung des Jahrhunderts ab, andererseits wird in der Beharrlichkeit dieser Künstler die Gestalt des Menschen gegenüber den Plänen und Planierungen bestätigt, die nicht nur in Osteuropa seine Freiheit untergraben.

Pēteris Vasks: String Quartets nos. 1-3 Challenge Classics, www.classicsonline.com

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