© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Lockerungsübungen
Risiko für die Demokratie
Karl Heinzen

Freie Wahlen sind sicher ein Wert an sich, aber noch besser wären sie, wenn man schon im voraus wüßte, daß sie zu wünschenswerten Resultaten führen. Die Freude, daß nun auch das ägyptische Volk nach Demokratie verlangt, ist daher groß, aber nicht ungetrübt von Besorgnissen. Hosni Mubarak mag man sicher einiges ankreiden. Er hat Heerscharen von Oppositionellen einsperren, foltern und zum Teil auch ermorden lassen. Sein Regime galt als korrupt und wirtschaftlich erfolglos. Aber er ist in den Jahrzehnten seiner Diktatur auch stets ein zuverlässiger Partner der westlichen Demokratien gewesen, der nicht zuletzt dank seiner zupackenden Regierungsmethoden für Stabilität in einer durch Krisen gezeichneten Region gesorgt hat. Es wird für die Staatengemeinschaft nicht einfach werden, für ihn einen geeigneten Nachfolger zu finden, den die Ägypter als einen von ihnen frei gewählten akzeptieren könnten.

Die Doppelstrategie der Europäer und Amerikaner trägt diesem Dilemma Rechnung. Zum einen müssen sie Mubarak davon überzeugen, daß sein Regime die ihm zugewiesene Aufgabe nicht mehr zu erfüllen vermag und abtreten muß. Zum anderen müssen sie den Massen auf dem Tahrir-Platz begreiflich machen, daß sie bei aller Freude am Aufstand ihre Verantwortung für Frieden und Stabilität erkennen sollten und die Ratschläge versierter Demokraten aus dem Ausland nicht ignorieren dürfen. Das algerische Beispiel, als sich 1991 radikale Islamisten bei Parlamentswahlen durchsetzten und ihre Unterdrückung nur um den Preis eines Bürgerkrieges möglich war, mahnt zur Vorsicht. Die Forderung nach einem behutsamen Wandel in Ägypten ist daher berechtigt, und freie Wahlen können nicht das primäre Ziel sein.

Eine Demokratie sollte in einem bisher diktatorisch regierten Land zudem nur dann errichtet werden, wenn sie die zentralen Probleme der Einwohner auch lösen kann. Dies ist in Ägypten nicht der Fall. Der rasant wachsenden Bevölkerung wird auch eine frei gewählte Regierung keinen größeren Wohlstand bieten können. Jene, die sich heute von der Demokratie alles versprechen, werden die Freude an der Volksherrschaft schnell verlieren, wenn sich die Hoffnungen auf ein besseres Leben nicht erfüllen. Diesem Risiko sollte eines der wenigen universellen Prinzipien, über die die Menschheit verfügt, nicht ausgesetzt werden.

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