© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/11 11. Februar 2011
Tätergesellschaft statt Volksgemeinschaft Der von Zeithistorikern lange als NS-Propagandaparole eingestufte Begriff Volksgemeinschaft erlebt, wie Hitler-Biograph Ian Kershaw mit Stirnrunzeln konstatiert (Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1/2011), seit kurzem einen wundersamen Aufstieg zum privilegierten Deutungsangebot der nationalsozialistischen Erfolge. Diese Beliebtheit erklärt sich, was Kershaw kaum andeutet, aus der Renaissance der 1945/46 viel diskutierten, dann aber bald beerdigten These von der deutschen Kollektivschuld. Dank ihrer Reanimation wurde nun Tätergesellschaft zum Synonym für Volksgemeinschaft. Als soziologische Kategorie, so Kershaw, erweise sich Volksgemeinschaft aber nur als begrenzt tauglich. Wie die von Joseph Goebbels benutzte Vokabel vor allem ab 1939 eher eine utopische Vision innerer Geschlossenheit suggerierte, so verführe der historiographische Gebrauch des Begriffs zu leichthändigen Generalisierungen. Hitlers Regime sei gar nicht in der Lage gewesen, die in langen Dekaden pluralistischer Politik entstandenen Mentalitäten einfach auszuradieren. Hinter der kollektiven Eintracht, die man heute für bare Münze nehme, lebten unterschiedliche Einstellungen in Milieus weiter, die wie etwa das katholische sich nur partiell in die Volksgemeinschaft integrieren ließen. www.ifz-muenchen.de |