© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/11 11. Februar 2011

Demonstrative Kaltherzigkeit
In der Betrachtung des Kolonialkriegs in Deutsch-Südwest werden die weißen Opfer gern ausgeblendet
Wolfgang Kaufmann

Im Jahre 1904 kam es in Deutsch-Südwestafrika zu zwei großen Aufständen. Im Januar erhoben sich zunächst die Herero, dann folgten im Oktober die Nama (damals „Hottentotten“ genannt). Im Zuge der Niederschlagung der beiden Revolten durch deutsche Truppenkontingente wurde eine bisher nicht präzise feststellbare Anzahl von Angehörigen der beiden aufständischen Völker getötet – die in der Vergangenheit immer wieder beschworenen, dramatisch hohen Opferzahlen fallen nach Aussage der früheren Leiterin des Windhuker Nationalarchivs, Brigitte Lau, allerdings in die Kategorie der „ungewissen Gewißheiten“.

Diese und andere Gewaltausbrüche im Gefolge von Eingeborenenaufständen in Übersee veranlaßten die Freiburger Historikerin Susanne Kuß zur Untersuchung der Frage, warum die Kolonialsoldaten des Reiches die Insurgenten eigentlich so rigoros verfolgten. Dabei kam sie zu erstaunlichen Antworten folgenden Strickmusters: „Im Zuge der Mobilisierung waren bereits bestehende abwertende Bilder der Chinesen und Afrikaner aktiviert und in Feindbilder umgewandelt worden, bevor auf der Überfahrt durch das kollektive Einüben und Singen martialisch-rassistischer Lieder die Überlegenheitsideologien verstärkt und möglicherweise verbliebene individuelle Bedenken beseitigt wurden.“ Das ist freilich nicht mehr als bloße Mutmaßung und klammert aus, daß die jedermann bekannte Tatsache, daß Landsleute gefoltert, verstümmelt und getötet worden waren, bei den Kämpfern für Erbitterung und Rachegelüste sorgte.

Die immer wieder zitierte „Vernichtungsproklamation“ des deutschen Oberkommandierenden Lothar von Trotha an das Volk der Herero enthält unter anderem folgende aufschlußreiche Passage: „Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nase und andere Körperteile abgeschnitten.“ Ebenso verübten die aufständischen Herero und Nama auch Massaker an deutschen bzw. weißen Zivilisten, darunter Frauen und Kindern.

Wie man den Listen der Kriegsgräberfürsorge entnehmen kann, wurden allein im Januar 1904 die Farmerinnen Utz und Müller, die Händlerin Henriette Diekmann sowie die Ehefrauen der Buren Grobler und Roos ermordet. Ebenso ist der gewaltsame Tod zweier Kinder verzeichnet, nämlich des Säuglings des Ehepaares Diekmann sowie des Kindes des Regierungsangestellten Hoffmann. Insgesamt starben im Verlaufe des Jahres 1904 etwa 160 deutsche Farmer, Händler, Handwerker und Regierungsangestellte durch Herero- oder Namahand – teilweise nach grausamen Quälereien. 

Zwar folgt Kuß nicht der menschenverachtenden Apologetik des DDR-Historiker Horst Drechsler, welche in der Behauptung gipfelt, diese Art von Kriegführung sei „ausgesprochen human“ gewesen. Desgleichen vermeidet sie es, die Berichte über den Tod von Frauen und Kindern komplett als „Greuelpropaganda“ abzuqualifizieren, wie dies der Drechsler-Epigone Jörg Wassink in seiner Bonner Magisterarbeit tat. Dennoch aber spielt auch Kuß die Tatsache, daß es während der Erhebungen zu zahlreichen Morden an Deutschen gekommen war, ganz gezielt herunter, indem sie behauptet, daß es schließlich Befehle der Führer der Aufständischen gegeben habe, Frauen und Kinder zu verschonen. Interessanterweise existieren hierfür jedoch keinerlei Primärquellen.Der einzige diesbezügliche „Nachweis“ ist eine Jahre später zu Protokoll gegebene Schutzbehauptung des Herero-Unterhäuptlings Daniel Kariko.

Die Kolonialhistorikerin Kuß zeigt also die demonstrative Kaltherzigkeit gegenüber zweifelsfrei unschuldigen deutschen Opfern, welche heutzutage offenbar zur emotionalen Pflichtausstattung karrierebewußter Historiker gehört. Allerdings bezahlt die Freiburger Lehrbeautragte einen hohen Preis für ihre – vom einschlägigen Völkermord-Apologeten Joachim Zeller beeinflußte – Disposition: Die nahezu völlige Ausblendung der Tatsache, daß die Eingeborenenaufstände mit massiven Gewaltausbrüchen gegen Deutsche und andere Weiße begannen, führte zwangsläufig zu eklatanten Fehldeutungen und damit letztlich zum wissenschaftlichen Schiffbruch.

Susanne Kuß: Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Verlag Ch. Links, Berlin 2010, gebunden, 500 Seiten, 49,90 Euro

Foto: Susanne Kuß: Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Verlag Ch. Links, Berlin 2010, gebunden, 500 Seiten, 49,90 Euro

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