© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Ägyptens Revolution
Wunschbilder
Herbert Ammon

Der Nachrichtensender France24 vermittelte über Stunden direkte Eindrücke vom Fortgang der Revolution auf dem Platz vor dem Ägyptischen Museum in Kairo. Die Szenen widerlegten eindrücklich die von unseren Auguren – vorgestern sahen sie in Mubarak noch den Garanten nahöstlicher Stabilität, gestern entdeckten sie in ihm den orientalischen Despoten – beschworene Hoffnung auf eine von „westlichen Werten“ samt Facebook  getragene friedliche Transformation. Hin und her flutende Massen, Anti- und Pro-Mubarak,  Molotowcocktails, Schüsse (immerhin noch in die Luft), dazwischen Panzer. Fazit: Das die FAZ zierende Foto friedlicher Eintracht eines kreuzbehängten Kopten und eines bärtigen Moslembruders – ein frommes Wunschbild.

Wunschbilder produzierte auch die Plasberg-Show. Von den multikultural-pluraldemokratisch geladenen Gästen sprach die Ägypterin von „unserem 1989“, der Chef des Moslem-Zentralrats – ein FDP-Mitglied – stellte die türkische Demokratie als Ziel vor Augen, eine Professorin wußte, daß alles gut ausgehen werde, und der erfahrene Moralist Michel Friedman beschwor Demokratie und Grundwerte mit guten Ermahnungen an die Moslembrüder. Zeit zum Umschalten zu France24, wo der Reporter vor Ort die Bewegungen der Massen verfolgte und ein Journalist aus Algier sowie ein Wissenschaftler aus Paris die Vorgänge sachkundig kommentierten. Angesichts einer völlig offenen Lage – keineswegs gänzlich identisch in Kairo, in Tunis, in Algier oder in Amman – verzichteten sie auf leicht dahingesagte Prognosen.

Über den Ausgang der Massenerhebungen darf auch nach Mubaraks Abtritt weiter spekuliert werden, ungeachtet aller Ermahnungen Merkels (zuletzt gar an Israel), Sarkozys und der unbekannten EU-Außenbeauftragten. Ob sich in Tunis nun die taz-gemäße Demokratie etabliert, in Kairo eine kosmetisch veränderte Militärdiktatur herauskommt oder eine andere Art gelenkter Demokratie, ob die „Massen“ eine Öffnung des Gaza-Streifens erzwingen werden, was Israels Intervention zur Folge hätte – wir wissen es nicht. Am aufschlußreichsten inmitten aller Erregung waren die Grafiken in der FAZ. Der Anteil der jungen Bevölkerung unter 25 Jahren beträgt in Ägypten 52,3 Prozent, in Marokko 47,7 Prozent, – und in Deutschland: 24,8 Prozent.

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen