© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

„Exodus biblischen Ausmaßes“
Italien: Migrationswelle setzt Rom unter Druck / Hoffnung auf EU und tunesisches Entgegenkommen
Paola Benardi

Tausende illegale Migranten aus Tunesien landeten in die letzten Tagen  bei gutem Wetter an den italienischen Küsten. Anlaufziel der neuen Boatpeople: Lampedusa – das vorgelagerte Eiland zwischen Sizilien und Nordafrika. Angesichts der Entwicklung sprach der italienische Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) gar von einem „Exodus biblischen Ausmaßes“, und Rom rief den humanitären Notstand aus.

Allein am letzten Wochenende sind rund 8.000 illegale Migranten auf der Insel gelandet. Tausende befinden sich noch in Wartestellung in den tunesischen Häfen Susa, Sfax und Zarzis.

Vorbei die Freude über die Revolution in Nordafrika, jetzt geht nur noch die Angst und Sorge umher. Denn, wie der Minister erklärte, sei das tunesische System dabei zu „explodieren“. Nicht nur ist Italien humanitär überfordert, sondern der Innenminister sieht auch die Sicherheit seines Landes extrem bedroht. Denn mit der Öffnung der Gefängnisse in Tunesien seien nicht nur „verurteilte Verbrecher“ auf der Flucht, sondern auch „Terroristen“, die den Flüchtlingsstrom nutzen können, so der Innenminister. Die größte Gefahr, daß es zu Zusammenstößen und kriminellen Akten kommt, bilden in Italien vor allem die Durchgangslager der illegalen Einwanderer. Schon mehrfach kam es zu Revolten in Lampedusa, Agrigento und Caltanissetta. Ergebnis: Hunderte flohen und leben seitdem im Untergrund. Die überwiegende Zahl der neuen Ankömmlinge will weiter nach Frankreich und Deutschland, „um ein neues Leben mit Arbeit“ zu beginnen, wie es ein junger Tunesier ausdrückte.

 „Tief enttäuscht“ zeigte sich Maroni über die bürokratische Haltung der EU, wonach sie 15 Tage Vorlauf für ein Hilfsersuchen benötige. „Europa schweigt“, so der bittere Vorwurf aus Italien. Das vor Monaten geschlossene Auffanglager auf Lampedusa, das für 2.000 Menschen angelegt ist, wurde wieder eröffnet. Mit Schiffen und Flugzeugen werden die Flüchtlinge ins Landesinnere nach Brindisi, Cagliari, Foggia und Caltanissetta in die dortigen Lager gebracht. Auch Hotels und Klöster werden belegt.

Derweil kehrte Außenminister Franco Frattini aus Tunis zurück, wo er mit der Übergangsregierung über die Absicherung der Küstenstreifen beriet. Frattini garantierte Soforthilfen in Höhe von fünf Millionen Euro, versprach die legale Einwanderungsquote für Tunesien auf 4.000 pro Jahr zu erhöhen und zeigte sich hoffnungsvoll: „Die tunesischen Sicherheitskräfte haben versprochen, daß sie die Häfen kontrollieren werden.“

Foto: Ankunft illegaler Migranten auf der Insel Lampedusa: Die Realität hat den westlichen Jubel über die  „Jasmin-Revolution“ längst verdrängt

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