© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Gaspedal statt Bremse
Autoindustrie: Trotz Rückrufaktionen und Kaufzurückhaltung sind die japanischen Hersteller weiter erfolgreich
Albrecht Rothacher

Vor 25 Jahren brachte die CBS-Fernsehsendung „60 Minutes“ das US-Geschäft von Audi fast zum Erliegen: In einem reißerischen Beitrag wurde behauptet, der Audi 5000 mit Automatikgetriebe setze sich von selbst in Bewegung („unintended acceleration“). Audi wies die Vorwürfe zurück, die betroffenen amerikanischen Autofahrer hätten schlicht Gaspedal und Bremse verwechselt. Vorbeugend wurde die inzwischen zum Standard avancierte Schalthebel-Sperre für das Wechseln von der Parkstellung in eine Automatikfahrstufe eingeführt. Die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA untersuchte den Fall penibel – ohne Ergebnis.

Audi wurde schließlich von jeglicher Schuld freigesprochen, doch der Imageschaden war enorm, der Absatz eingebrochen. 1988 wurde das Auto in Audi 100 bzw. 200 umgetauft und optisch verändert. Noch heute liegt Audi in den USA beim Absatz hinter Mercedes und BMW. In den folgenden Jahren gab es weitere Fälle von mysteriöser Beschleunigung bei anderen Herstellern – doch fast immer waren Fehler von überforderten Fahrern die Auslöser.

So auch im jüngsten Fall: Vergangenes Jahr wurde dem japanischen Autokonzern Toyota vorgeworfen, eine schadhafte Autoelektronik habe zu Unfällen mit insgesamt 93 Toten geführt. Toyota gab zu, verrutschte Fußmatten hätten das Gaspedal einklemmen können. Gelegentlich sei vielleicht auch das niedergedrückte Gaspedal zu langsam in seine Ausgangsposition zurückgekehrt. Toyota zahlte 49 Millionen Dollar an Bußen für angeblich verspätete Rückrufaktionen. Firmenchef Akio Toyoda mußte sich bei laufender Kamera stundenlang vor dem US-Kongreß peinlichen Befragungen aussetzen.

Verkehrsminister Ray LaHood machte mit schrillen öffentlichen Warnungen auf sich aufmerksam. Doch auch nach elf Millionen weltweiten Rückrufen bestritt der weltgrößte Autobauer weiter den Vorwurf einer defekten Elektronik. Bereits im Juli 2010 gab eine NHTSA-Studie Toyota recht: Die meisten Fahrer hätten an ihren Unfällen selbst schuld gehabt, weil sie – wie im Audi-Fall – aufs Gas statt auf die Bremse getreten hätten. Nur in einem Fall gab es Hinweise, daß eine verrutschte Fußmatte Unfallursache sein könnte. Mechanische Gaspedalprobleme wurden nicht gefunden. Auch die von der US-Regierung beauftragte Raumfahrtbehörde Nasa fand in ihrem vorige Woche veröffentlichten Abschlußbericht keine defekte Toyota-Elektonik. Daß angesichts der Sanierungsfälle General Motors und Chrysler die Toyota-Hysterie den US-Geschäftsinteressen nicht geschadet hat, läßt sich nicht bestreiten.

Japans Automobilindustrie hat sich aus ihrer beispiellosen Absatzkrise von 2009 dennoch voll erholt. Massive Sparprogramme bei den Kosten und eine gestraffte Produktpalette ermöglichten Exporterfolge vor allem auf den rapide wachsenden asiatischen Märkten. Und dies trotz eines Wechselkurses, der sich mit 80 Yen zum Dollar auf einem 15jährigen Rekordhoch befindet und die japanischen Exporte massiv verteuert. Der Marktführer Toyota erwartet mit einem geplanten Jahresverkauf von 8,4 Millionen Fahrzeugen nach den Verlusten im Vorjahr im März 2011 wieder einen Gewinn von umgerechnet 4,4 Milliarden Euro.

Im Oktober hatte es für alle japanischen Hersteller auf dem Heimatmarkt noch einen Umsatzeinbruch gegeben, als die staatlichen Prämien zum Kauf umweltfreundlicher Autos als Teil des schuldenfinanzierten Konjunkturprogramms ausgelaufen waren. Davon hatte vor allem Toyotas Hybridauto Prius profitiert. Auch von der teuren Rückrufaktion in den USA erholte sich der weltgrößte Autobauer überraschend schnell. Zwar fiel der Umsatzeinbruch mit einem Rückgang des US-Marktanteils von 17 Prozent auf 15,3 Prozent noch glimpflich aus, doch leidet der Absatz in den USA wie in vielen Teilen Europas weiter an der mäßigen Konjunktur und geringen Kaufneigung der überschuldeten Verbraucher. Rückläufige Absatzzahlen in den USA machen auch Honda zu schaffen, dennoch war der einst zweitgrößte Autokonzern Japans als einziger der Branche in der Finanzkrise profitabel geblieben. Honda hatte wie alle anderen die Dividende gestrichen, die Managementzulagen gekürzt, die Fahrzeugproduktion reduziert, einige Sportwagenmodelle eingestellt und sein Formel-1-Team abgeschafft.

Auch Mitsubishi, der Rekordsieger der Dakar-Rallye, hatte sich aus Kostengründen aus dem Motorsport zurückgezogen. Personal wurde nur bei Nissan, dem von Renault kontrollierten drittgrößten Hersteller entlassen. Konzernchef Carlos Ghosn, ein Brasilianer libanesischer Herkunft, hatte dem Autobauer eine zwanzigprozentige Senkung der Arbeitskosten verordnet. Neben einer Vier-Tage-Woche und einer zehnprozentigen Kürzung der Managementgehälter wurden auch 20.000 von 235.000 Stellen weltweit gestrichen.

Die Roßkuren zeigten allenthalben Wirkung. So erhielten sich die japanischen Autobauer im Gegensatz zu vielen Mittelständlern beim aktuellen Höhenflug des Yen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit. Doch haben auch sie den Großteil ihrer Produktion bereits ins Ausland verlagert. Selbst Toyota, das einst konservative Flaggschiff der Japan AG, fertigt nur noch drei Millionen Fahrzeuge in Japan selbst und warnt vor weiteren Auslagerungen.

Daß die weltweite Produktion und der globalisierte Teilebezug kein Allheilmittel ist, mußte Nissan im Sommer erfahren, als Sensoren aus Irland und Mikroelektronikteile aus Italien vorübergehend ausfielen und tagelang seine weltweite Produktion stillstand. Auch beim Elektroauto Nissan Leaf (JF 3/11) gibt es wegen Problemen in der Qualitätskontrolle und der Logistik Lieferprobleme. Dennoch hat Nissan mit einem Absatz von 4,2 Millionen PKWs Honda überholt und erwartet einen Jahresgewinn von 4,8 Milliarden Euro.

Dies war das Ergebnis von Ghosns aggressiver Expansionsstrategie nach Rußland, Indien und China. Die beiden asiatischen Großmärkte sind im letzten Jahr um 30 Prozent auf 2,4 Millionen beziehungsweise 18 Millionen Autos gewachsen. China ist damit vor den USA (11,6 Millionen) zum weitaus größten Pkw-Markt der Welt geworden. Wegen Dauerstaus und der Umweltbelastung werden Zulassungsbeschränkungen in Peking und andernorts allerdings das künftige Wachstum deutlich einbremsen. In Indien liegt nach dem Flop des einheimischen, aber leicht brennbaren Billigstautos Nano (Kaufpreis 1.700 Euro) Suzuki mit der Marke Maruti und verdoppelten Umsätzen weiter vorne. Der Kleinwagenhersteller, an dem VW zu 20 Prozent beteiligt ist, erwartet einen Jahresgewinn von 900 Millionen Euro, auch dies nur dank der asiatischen Exportmärkte.

 

Dr. Albrecht Rothacher ist Asien-Experte. Er ist Autor der Bücher „Demokratie und Herrschaft in Japan“ (Iudicium Verlag 2011) und „Die Rückkehr der Samurai. Japans Wirtschaft nach der Krise“ (Springer-Verlag 2008).

Foto: Toyota-Bug: Auch Audi litt unter falschen US-Anschuldigungen

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