© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Pankraz,
A. Snyder und die sinnliche Denkkappe

Leichte Schläge auf den Hinterkopf fördern das Denkvermögen. Jetzt hat ein Team um den Gehirnforscher Allan Snyder an der Universität Sydney entschlossen die Konsequenz aus dieser alten pädagogischen Spaßweisheit gezogen und allen Ernstes  eine „Denkkappe“ (thinking cap) konstruiert, die sich der Proband nur über die Glatze zu stülpen braucht – und schon denkt er dreimal besser als soeben noch ohne Kappe. Die Mitteilung paßt gut in die gegenwärtige Karnevalszeit, ist aber völlig ernst gemeint.

Die neuartige Denkkappe, so liest man in diversen Wissenschaftsblogs des Internet, sende rhythmische Stromstöße aus, durch die die Aktivität der linken Gehirnhälfte, welche für das Wissen zuständig sei, regelrecht lahmgelegt werde. Dadurch werde die „für die Kreativität zuständige“ rechte Gehirnhälfte frei, endlich einmal ohne die von links kommenden logischen und empirischen „Vorurteile“ munter drauflos zu denken. Ziel sei es, sagt Snyder, „ein Problem oder eine Situation in Angriff zu nehmen, ohne dabei auf früheres Wissen oder eingeschliffene Erfahrungen zurückzugreifen“.

Pankraz mißtraut der Angelegenheit auf breitester Front und hat dafür auch, glaubt er, viele gute Gründe. Schon das von den Sydneyern behauptete  „dreimal besser denken Können“ mittels Denkkappe steht auf äußerst wackligen Füßen, bleibt bei Lichte betrachtet völlig unbewiesen.

„Unsere Denkkappenträger“, verlautbaren die Sydneyer (ohne genauere Angaben zu machen), „haben bestimmte Mathematik­aufgaben besser gelöst“ als die Freiköpfler. Sie seien also die besseren Kreativbolzen. Aber liegt nicht gerade die Mathematik zu faktisch hundert Prozent im Kompetenzbereich der linken Gehirnhälfte, also in Logik und strengstem Kalkül? Wenn irgendwo freischweifende „Kreativität“ nur in eingeschränktestem Maße zum Zuge kommen darf, dann in der Mathematik.

Übrigens ist die strikte Einteilung in linke Gehirnhälfte gleich Logik und Erfahrung, rechte Gehirnhälfte gleich Phantasie und Kreativität höchst angreifbar und in der Vereinfachung sogar schlicht falsch. Es stimmt natürlich: Der Mensch (und nur der Mensch) hat zwei Gehirnhälften, und beide Hälften haben verschiedene Aufgaben. Und es stimmt wohl auch: Die linke Gehirnhälfte steht für Präzisionsarbeit, und die rechte sorgt für das gesamte Bild, arbeitet nach dem Simultanprinzip. Doch um in der Welt überleben zu können, ist es absolut notwendig, daß beide Hemisphären dauernd und aufs engste zusammenarbeiten.

Zwischen den beiden Gehirnhälften befindet sich eine Brücke, corpus callosum, und diese Brücke sorgt dafür, daß alles, was die eine Hemisphäre behandelt und bearbeitet, auch die andere erreicht. Fällt die eine Hälfte aus, funktioniert auch die andere nicht mehr. Deshalb bringt es Snyder und seine Mitarbeiter in eine recht merkwürdige Beleuchtung, wenn sie unermüdlich darauf hinweisen, daß sie auf die Idee für ihre Experimente gekommen seien, als sie Unfallopfer untersuchten, die einen „plötzlichen Kreativitätsschub erlebten, nachdem ihre linke Gehirnhälfte geschädigt worden war“.

Kreativität und Phantasie sind weder Krankheits- noch Unfallsymptome. Sie werden von der linken, logisch-empiristischen Gehirnhälfte nicht gestört, sondern befördert und auf den Weg gebracht. Insofern liegt auch jene – an sich spannende und ergreifende – paläo-psychologische Theorie (Julian Jaynes und andere) gründlich daneben, die den ganzen originären Götter- und Mythenglauben der Menschheit darauf zurückführt, daß der frühe Mensch mit seinem bikameralen Gehirnsystem lange nicht zurechtgekommen sei und die beiden Gehirnkammern nicht zusammenzudenken vermochte.

Noch die Gestalten Homers, Hektor und Achilles, hätten, so Jaynes, die Impulse der rechten Gehirnkammer, ganz wie ein Schizophrener von heute, als äußere Erscheinungen und Befehle halluziniert, eben als leibhaftige Anwesenheit von übermächtigen Göttern. Erst gewaltige natürliche und soziale Katastrophen, Erdbeben, Sintfluten, Völkerwanderungen, „als die Götter plötzlich schwiegen“ (Jaynes), hätten die Trojaner und alten Griechen auf den Gedanken gebracht, daß ja auch sie selbst das Schicksal gestaltend tätig werden konnten. Und dies sei die Geburt des rationalen und logischen Denkens gewesen.

Demgegenüber wäre festzuhalten: Auch Logiker und Rationalisten brauchen Phantasie und Kreativität, so wie Phantasiebegabte und wirkliche Kreativbolzen Logik und Vernunft brauchen. Nur beide Hemisphären zusammen, links plus rechts, bilden jenes Gehirnganze, ohne das der Mensch sein Leben nicht meistern kann. Um das zu begreifen, braucht man wahrhaftig keine künstliche Denkkappe, am wenigsten eine, die lediglich auf Stromstößen beruht, welche die eine Hälfte, die linke, durcheinanderbringen sollen, damit die andere, die rechte, mehr Auslauf gewinnt.

An sich kommt das Sydneyer Denkkappenprojekt reinem Unfug nahe. Man will angeblich die Kreativität fördern – und als Mittel dazu fällt einem nur ein mechanisch-elektrischer Klapperatismus ein, den man sich über die Rübe stülpt. „Unser Traum ist“, sagt Professor Snyder, „daß wir das Gehirn eines Tages so stimulieren können, daß – wenigstens für einen Moment – ein ungefilterter Blick auf die Welt möglich wird.“ Da könnte er auch gleich den feuchten Finger in die Steckdose stecken, das wäre billiger.

Unser menschlicher Blick auf die Welt ist immer gefiltert, einerlei ob wir nun rein sinnlich blicken oder uns noch etwas dabei denken. Wahre Kreativität besteht nicht darin, diesen natürlichen, von der Evolution auf Überleben angelegten Filter zu ignorieren und irgend etwas Beliebiges in die Welt hinauszuposaunen. Vielmehr kommt es darauf an, den Blick selbst immer wieder zu filtern, konkret zu denken, aufgeschlossen für Details zu sein und bei ausgedehnter Theoriebildung überaus vorsichtig zu operieren.

Dazu bedarf es natürlich keiner extra Denkkappe. Überzeugte Denkkappenträger machen sich in dieser Perspektive eher lächerlich.

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