© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Einer trage des anderen Last
Vereinte Nationen: Warum Politiker öfter die Reden ihrer Kollegen halten sollten
Richard Stoltz

Viele Vorkommnisse in der heutigen Politik sind so unfreiwillig komisch (und so entlarvend), daß sich Journalisten gar nicht mehr trauen, etwas Kritisches oder Satirisches darüber zu schreiben. Die nackte Mitteilung des Faktums genügt. Es handelt sich um Realsatiren, die nicht die geringste Zusatzpointe mehr zulassen, weil sie selber die Pointe sind.

So jetzt nach einem Bericht der Sunday Times im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, als der indische Außenminister S. M. Krishna statt der eigenen die Rede seines portugiesischen Kollegen vortrug – und es nicht einmal selbst merkte! Auch der versammelte Sicherheitsrat merkte zunächst nichts; erst nach mehreren Minuten wunderte sich der indische UN-Botschafter, warum sein Chef in New York rein gar nichts über Indien sagte und statt dessen die portugiesische Politik so sehr lobte.

Indiens Außenminister Somanahalli Mallaiah Krishna gilt als raffinierter, mit allen rhetorischen  Wassern gewaschener Politiker. Er rechtfertigte sich mit dem Hinweis, daß er im entscheidenden Moment „so viel Papier“ vor sich liegen gehabt habe, daß er eben leider die falsche Rede erwischt habe. Dem ist faktisch nichts hinzuzufügen, allenfalls noch dies, daß es der internationalen Sicherheit eventuell höchst zuträglich wäre, wenn die diversen Außenminister künftig grundsätzlich nicht mehr die eigenen, sondern die Reden ihrer Kollegen vortrügen.

Die Stellungnahmen sind ohnehin alle mehr oder minder gleich, bestehen von vorn bis hinten aus bloßem Geschwätz und Wichtigtuerei. In Zukunft also: Einer trage des anderen Last! Man rettet so vielleicht nicht den Weltfrieden, stärkt aber auf jeden Fall das gegenseitige Verständnis. Man lernt, daß der werte Kollege auch nur Mensch ist.

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