© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/11 18. Februar 2011

Umarmt und erdrückt
Der Vorsitzende der Deutschen Partei im Fahrwasser der Union: Heinrich Hellweges Rolle als niedersächsischer Ministerpräsident
Volker König

ur ein einziges Mal stellte eine dezidiert konservative Partei in der Bundesrepublik Deutschland einen Ministerpräsidenten: 1955 trat der Vorsitzende der Deutschen Partei (DP), Heinrich Hellwege, in Niedersachsen das Amt des Regierungschefs an. Sein erstes Kabinett nach dem Vorbild der bürgerlichen Adenauer-Koalition scheiterte aber bereits nach zwei Jahren und für den Rest der Legislaturperiode regierte Hellwege in einer Großen Koalition mit CDU und SPD.

Über Heinrich Hellwege war zuletzt im Jahr 1991 aus der Feder des Historikers Claudius Schmidt eine Biographie erschienen. Die nun vorliegende Studie von Matthias Frederichs untersucht schwerpunktmäßig die niedersächsische Regierungsperiode des DP-Politikers. Sie widmet sich der Frage, warum gerade Heinrich Hellwege zum Regierungschef gewählt wurde und welche nachhaltig wirkenden landespolitischen Entscheidungen für seine Amtszeit stehen.

Hellwege wurde 1908 in einem Bauerndorf des „Alten Landes“ geboren, einer Region im Norden Niedersachsens vor den Toren Hamburgs, wo vor dem Ersten Weltkrieg die Deutsch-Hannoversche Partei eine Hochburg hatte. Hellwege symphatisierte frühzeitig mit dieser „Welfenpartei“, in der sich die konservativen Gegner der preußischen Annexion des Königreiches Hannover im Jahr 1866 sammelten. Loyalität zum alten Königshaus, ein gelebtes lutherisches Christentum und ein starker Heimatbezug bildeten die Eckpfeiler des politischen Wirkens von Hellwege. Diese geistigen Grundlagen ließen ihn im „Dritten Reich“ auch auf Distanz zu den Nationalsozialisten gehen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligte sich Hellwege sofort an der Gründung einer Niedersächsischen Landespartei (NLP), deren Ziel, die Schaffung eines eigenen Bundeslandes Niedersachsen, bereits 1946 von der britischen Besatzungsmacht realisiert wurde. Die Partei benannte sich nun in DP um und versuchte die Ausdehnung auf andere Bundesländer, was ihr aber nur in den norddeutschen Ländern mit mäßigem Erfolg gelang. Von den 45.000 Mitgliedern, die sie in ihrer Blütezeit Anfang der fünfziger Jahre hatte, waren allein 35.000 weiterhin in Niedersachsen angesiedelt. 1949 zog die DP mit vier Prozent und 17 Mandaten in den ersten Bundestag ein und gehörte mit zwei Ministern dem ersten Kabinett Adenauer an. In den folgenden Wahlen gelang der Partei auf Bundesebene ein Überleben nur noch dank Wahlabsprachen mit der CDU. In Niedersachsen hingegen blieb sie neben der CDU die stärkste bürgerliche Kraft.

Das besondere Spannungsverhältnis von CDU und DP in diesem Agrarland zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Landespolitik. Beide Parteien bemühten sich um dieselbe konservative und christliche Klientel. Dabei war die DP nicht nur gerade in Niedersachsen Landespartei, sondern auch Trägerin eines föderalistisch-abendländischen Weltbildes, das sie von dem Unionskonzept der Sammlung sowohl christdemokratischer als auch liberaler, sozialer und konservativer Strömungen unterschied. Bezeichnend dafür war Hellweges kleine programmatische Schrift „Die föderalistische Lebensordnung“, in der er ein Plädoyer für den subsidiären Aufbau des Staates hielt.

Frederichs verweist in seiner gut recherchierten Arbeit darauf, daß Hellweges Ministerpräsidentschaft nur möglich wurde durch die enge Kooperation von CDU und DP in Niedersachsen, die sich zeitweilig sogar zu einer „Niederdeutschen Union“ zusammenschlossen. Für die eigentliche Regierungsbildung sollten außerdem Hellweges gute Kontakte zu Adenauer bedeutsam werden. Das trug ihm später den Vorwurf ein, er sei ein Ministerpräsident „von Gnaden der CDU“ gewesen. Im übrigen war es eine ungleiche Partnerschaft.

Die CDU setzte seit Mitte der fünfziger Jahre auf eine stille Übernahme der DP, und sie hatte mit dieser Strategie Erfolg, als 1960 im Bundestag sämtliche DP-Minister und 9 der 15 Bundestagsabgeordneten ins Unionslager wechselten. Die Rest-DP versuchte ihr vergebliches Heil in einer Fusion mit der Vertriebenenpartei „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (BHE), was zum Protest und schließlich sogar zum Austritt Hellweges im Jahr 1961 führte. Damit aber war auch sein politisches Ende gekommen. Er schloß sich später der CDU an, verließ sie aber in den siebziger Jahren wieder, weil sie ihm zuwenig konservatives Profil zeigte.

Was von Hellweges vier Regierungsjahren blieb, so bilanziert der Autor, seien weniger spezifische Erfolge im Bereich der Wirtschafts- und Infrastrukturpolitik, wo er die von seinem sozialdemokratischen Amtsvorgänger Hinrich Wilhelm Kopf eingeleiteten Projekte fortführte, als vielmehr kulturpolitische Institutionen, wie die Verbesserung des Schulwesens, die Errichtung eines Lehrstuhls für Landesgeschichte oder die Entscheidung zum Wiederaufbau des Leineschlosses in Hannover.

Matthias Frederichs: Niedersachsen unter dem Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege (1955–1959). Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2010, gebunden, 254 Seiten, Abbildungen, 29 Euro

Foto: Konrad Adenauer und der niedersächsische Ministerpräsident Heinrich Hellwege (r.) 1959 im Kreise von Wissenschaftlern der Max-Planck-Gesellschaft in Hannover: Ungleiche Partnerschaft

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