© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Dr. Bundestag
Paul Rosen

Neulich, wieder einmal beim Entenfüttern an der Spree, treffen wir den altgedienten Fraktionsmitarbeiter wieder, einen Mann, der schon in Bonner Jahren manchen guten Tip über den Bundestag und seine Politiker gab. Er macht einen mürrischen Eindruck und raunt: „Jetzt ist es zu spät.“ Nach kurzer Pause setzt er fort: „Für meine Doktorarbeit.“ Die fragenden Blicke reizen ihn zu weiteren Worten. „Im Bundestag den Doktor zu machen, ist doch kein großes Problem.“ Das klappe auch mit zwei kleinen Kindern, die erfahrungsgemäß sehr viel Zeit fordern würden.

Das Doktorandentum im Berliner und früher Bonner Politikbetrieb kenne zwei Varianten, erläutert der alte Fuchs. Variante eins: Man schreibt selbst. „Soll ja vorkommen, ist aber bei Abgeordneten eher selten vorzufinden“, schmunzelt er. Genutzt werde diese Variante von jungen, aufstrebenden Frauen und Männern, die sich nach dem Hochschulabschluß bei einer Fraktion oder bei Abgeordneten direkt als Mitarbeiter bewerben. Damit haben sie Zugang zu Büchern, Dokumenten und Datenbanken, um die sie jeder deutsche Universitätsrektor beneidet. Die Bibliothek des Deutschen Bundestages ist in Jura, Volkswirtschaft, Politik und Soziologie die beste im Umkreis von mehreren hundert Kilometern.“ Medizinkenntnisse sollten hier vielleicht nicht vertieft werden, weil der Buchbestand nicht so groß sei. Aber es gebe die Fernleihe. Insgesamt gelte für den Bundestag: Bei geringer Nachfrage gebe es ein hohes Angebot an Wissen. Vergriffene Bücher, vollbesetzte Lesesäle seien im Bundestag Fehlanzeige. „Da können Sie locker in zwei Jahren ihre Doktorarbeit während und nach der regulären Arbeit schreiben. Sehen Sie mal den Sommer: Da sind die Abgeordneten wochenlang nicht da. Dann kommt man gut voran.“ Nur er habe den Ehrgeiz nicht entwickelt, räsoniert er bei der Suche nach letzten Brotkrümeln in der Manteltasche.

„Variante zwei ist noch besser.“ Dabei lasse man schreiben. Das seien natürlich alles nur Gerüchte, aber alte und anhaltende Gerüchte. Sie lauteten etwa so, daß Abgeordnete auf Kosten der Steuerzahler einen jungen, dynamischen Referenten einstellen würden, der sich im Studium ausreichend Kenntnisse zum Thema der zu erstellenden Doktorarbeit angeeignet habe. Der bekomme den Auftrag, das Werk zu schreiben.

Dabei könne ein Abgeordneter – natürlich nur theoretisch – Dinge tun, die normalen Angestellten der Fraktionen oder der Verwaltung nicht möglich seien: „Man bestellt sich beim Wissenschaftlichen Dienst eine Ausarbeitung zum Thema der Doktorarbeit.“ Die komme nach einigen Wochen oder – falls das Thema komplex ist – nach einigen Monaten. Auf die Qualität des Wissenschaftlichen Dienstes sei Verlaß. Das gelieferte Material reiche als Grundgerüst für die Arbeit und enthalte so viele Quellen und Hinweise auf andere Arbeiten, daß man dort locker weiteres Material finden und die Doktorarbeit auf das notwendige Maß aufblähen lassen könne. „Kopieren geht halt über Studieren.“ Nur erwischen dürfe man sich nicht lassen.

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