© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Kampf um Werte und Tradition
Spanien: Aufbegehren der katholischen Kirche gegen Abtreibung, Homo-Ehe und Gender-Mainstreaming
Michael Ludwig

Als der Reporter dem kleinen Carlos das Mikro unter die Nase hält, blickt der etwa Zehnjährige erst nach rechts, dann nach links, um sich zu vergewissern, daß ihn niemand sieht. Dann macht er seinem Mißbehagen Luft. „Ich habe noch sechs Geschwister und werde deshalb in der Schule ständig gehänselt. Dauernd rufen mir meine Klassenkameraden hinterher: Ihr seid wie die Kaninchen! Wer seid ihr eigentlich wirklich? Vom Opus Dei?“

Der „Kultur des Todes“ entgegentreten

Die Eltern von Carlos sind weder beim Opus Dei noch Mitglieder einer Sekte, sie sind strenggläubige Katholiken – und die haben im Spanien von heute einen schweren Stand. Keine westliche Gesellschaft hat ihre Traditionen, auch seine religiösen, schneller abgestreift. Vor allem seit die sozialistische Regierung Zapatero im Amt ist (seit 2004), jagt eine Zeitgeistwelle nach der anderen übers Land und reißt alles mit sich, was auch nur im entferntesten im Geruch des Konservativen steht. Spanien besitzt heute eines der liberalsten Abtreibungsgesetze der Welt, die Homo-Ehe ist eingeführt und der Machismo ist auch nicht mehr das, was er einmal war – die Trutzburg südlicher Männlichkeit.

Doch wo Kraft ist, findet sich auch eine Gegenkraft, und als diese hat sich die katholische Kirche herausgebildet. Sie zählt heute zu den wirkungsmächtigsten Oppositionsbewegungen. Höhepunkte des Aufbegehrens sind die Gottesdienste zur Verteidigung der christlichen Familie, die alle drei Monate in Madrid begangen werden und zu denen Hunderttausende Gläubige strömen.

Die Teilnehmerliste des letzten großen Gottesdienstes unter dem Leitspruch „Die christliche Familie, Hoffnung für Europa“ auf der Plaza de Colon liest sich wie ein Who is Who der katholischen Kirche. Der Erzbischof von Avignon, Jean Pierre Cattenoz, appellierte an die Gläubigen, sich der „Kultur des Todes“ entgegenzustellen und zu allem nein zu sagen, das die Familie bis zur Unkenntlichkeit verändert. Der Bischof von Alcala de Henares, Antonio Reig Pla, erklärte: „Wenn Familien ohne Kraft sind, können Politiker eine Politik machen, die nicht dem folgt, was die Mehrheit der Bevölkerung fühlt.“ Kardinal Antonio Maria Rouco Varela warnte vor dem demographischen Niedergang, der einem Selbstmord gleiche. Die deutlichsten Worte kamen von Papst Benedikt XVI., als er kürzlich erklärte, das Land habe sich einst als die „spirituelle Reserve des Westens“ begriffen, nun sei es „ein Weinberg, der von den Wildschweinen des Laizismus verwüstet wurde“.

Damit nicht genug. Der Bischof von Cordoba, Demetrio Fernandez, überraschte unlängst mit dem Hinweis, daß die Unesco plane, „die Hälfte der Weltbevölkerung in Homosexuelle zu verwandeln“. Auf der Netzseite der Bischöfe des südlichen Spaniens präzisierte Fernandez seinen Vorwurf damit, daß die Geschlechter-Ideologie der UN (Gender-Mainstreaming) verkünde, „daß jemand nicht als Junge oder Mädchen geboren werde, sondern daß er sein Geschlecht aus einer Laune heraus wählen könne, und daß er es wechseln könne, wann immer er wolle“. In besonders konservativen katholischen Kreisen wird überlegt, ob man nicht eine Partei gründen soll, die konsequenter als die Partido Popular die traditionellen Werte verteidigt.

Angesichts der geballten Ladung an Kritik schreibt die linksliberale El Pais, daß weite Teile des Katholizismus eine „Generalmobilmachung“ anstrebten, um das Land zurückzuerobern, was einer „Reconquista“ gleichkomme. Sie gilt diesmal nicht der islamischen Landnahme, sondern einer verweltlichten Politik.

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