© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Die Ruhe vor dem Sturm
Ägypten II: Notizen aus der Provinz / Die Revolution scheint fern – doch die Ruhe im mittelägyptischen Asyut trügt
Billy Six

Gehen Sie auf keinen Fall nach Asyut.“ Die Warnungen an Reisende sind eindeutig. Auf halbem Wege zwischen Kairo und dem Touristenzentrum Luxor gäre ein explosiver islamischer Fundamentalismus, hieß es schon vor Jahren. Tatsächlich entwickelte sich die „Islamische Gruppe“ („Jama‘at Islamiyya“) Ende der 1970er Jahre aus dem Umfeld der hiesigen Universität. Das Ziel schon damals: der Sturz der Regierung und die Errichtung eines Gottesstaats. Die Ermordung von Präsident Sadat 1981 ging noch auf das Konto eines Ablegers, dem „Ägyptischen Heiligen Krieg“ („al Dschihad“). Der folgende Aufruhr in Asyut war schon breiter getragen und forderte 55 Tote. In den 1990er Jahren erklärte die „Islamische Gruppe“ höchstselbst der Mubarak-Regierung den Krieg. Der folgenden Terrorwelle fielen christliche Kopten, Staatsdiener und Touristen zum Opfer. Mit aller Macht schlug der Staat auch diese Rebellion nieder.

Halten sich die Extremen bewußt zurück?

Angesichts dieser Vorgeschichte ließen die unruhigen Tage der Januar/Februar-Revolution das Schlimmste befürchten. Selbst im beinahe protestfreien Oberägypten ist die Lage angespannt: Zwei Kampfpanzer posieren am Luxor-Tempel. In Asyut dagegen – scheinbare Normalität. Chaotischer Stau am Stadtrand. Kinder und Rinder zwischen Müllbergen und Zuckerrohr. Auch der Geheimdienst funktioniert wie immer: Als Ausländer werde ich sofort kontrolliert – und abgeführt. Sechs Stunden dauert das Verhör in einem dunklen Büroraum. Unter einem überlebensgroßen Porträt von Staatschef Mubarak sitzt ein bulliger Anzugträger. Er kaut Nüsse und schaut besorgt Richtung Fernseher. Das Gespräch führen zwei findige Funktionäre. Einer spricht Englisch, der andere Französisch. Gegenüber sitzen die jungen Dienstanwärter. Sie lauschen, wie man so umgeht mit verdächtigen Ausländern, die sich angeblich niemals nach Asyut verirren würden.

Ab und zu platzen weiße Turbanträger mit langen Arabergewändern herein. Flink ziehen sie lange Gewehre hervor. Man schreit sich an. Auf den Gängen wird irgendjemand in den Kerker geführt. „Wir haben die Lage im Griff“, sagt einer der Jungen stolz. „Niemand weiß, wer wir sind.“ Ein Vertreter eines anderen Büros schleicht herein und nimmt alle Fotos an sich – zur Kontrolle. „Keine Sorge“, sagt er. „Sie sind in Ägypten.“ Er hält Wort: Alles wird gut.

Auch draußen: normales Nachtleben. Die Geschäfte sind geöffnet. Menschen schlendern durch die Straße. Fernseher und Wasserpfeifen laufen. Von der Armee keine Spur. Von der Straßenbrücke baumelt gar ein Pro-Mubarak-Transparent. Verwunderung kommt auf. Hat der Staat nach so vielen Problemen die Lage endgültig in den Griff bekommen? Leben die Staatsfeinde in Angst? Oder halten sich die Extremen bewußt zurück?

Abdel Fattah, über Jahre als Unabhängiger für die verbotene „Muslimbruderschaft“ im Kairoer Parlament, unterstreicht: „Ihr braucht keine Angst vor den islamischen Kräften zu haben. Wir haben es hier mit einem demokratischen Aufbruch aller Ägypter zu tun – auch der Christen.“

Ein deutscher Außenhandelskaufmann lächelt dagegen nur müde: „Ich war dabei, als man 1979 den Schah von Persien verjagt hat. Auch das war ein Aufstand aller gegen die Diktatur. Aber hinterher wußte man auch nicht, wie es weitergehen soll und verließ sich auf die islamische Geistlichkeit. Ich kann mir kaum vorstellen, daß es einem Fellachen des Niltals, der nicht einmal weiß, wie man Demokratie schreibt, anders geht.“

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