© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Pankraz,
B. Priddat und der Wirtschaftsnobelpreis

Endlich mal eine deftige kritische Selbstreferenz (man könnte auch sagen Selbstkritik) aus dem Innersten der etablierten Wirtschaftswissenschaft. Es wurde ja auch höchste Zeit. Die Weltwirtschaftskrise von 2008/09 und die anschließende Eurokrise haben diese Wissenschaft bekanntlich in schwerste Bedrängnis gebracht. Ihre Fähigkeit zu genauer Analyse und halbwegs verläßlicher Prognose wurde total blamiert, viele Leuchten des Fachs und sogar hochberühmte Wirtschaftsnobelpreisträger standen plötzlich wie ausgemachte Trottel da, die buchstäblich von nichts eine Ahnung gehabt hatten. Die Abrechnung war überfällig.

Sie wurde jetzt – jedenfalls dem eigenen Anspruch nach – geleistet von Birger P. Priddat, Inhaber des Lehrstuhls für Politische Ökonomie in der Wirtschaftsfakultät der privaten Universität Witten/Herdecke; einer seiner Studenten, Philip Kovce, hat ihm dabei geholfen. Priddat, ein höchst umtriebiger, auch angriffslustiger, aber weithin akzeptierter Poltergeist, nimmt auch hier kein Blatt vor den Mund, er gibt geradezu den Kapuzinerprediger. Die Ökonomie als selbständige Wissenschaft, donnert er, ist am Ende. Reue, Buße und vollkommene Umkehr sind nötig, damit ein Neuanfang gelingen kann.

Zwölf Thesen zum Ende, bzw. zum Neuanfang der Wirtschaftswissenschaft haben Priddat und Kovce aufgestellt und bereits vielfach unter die Leute gebracht. Wer künftig mit Aussicht auf einiges Renommee „Ökonomie“ lehren will, der muß nach ihrer Überzeugung zunächst einmal ganz bescheiden „von Vermittlung auf Verstehen, von Urteilen auf vorsichtiges Interpretieren umschalten“, und der muß sich als Student mit dem Umstand bekannt machen, daß er kein spezielles Fach mehr mit klar umrissenen Grenzen studiert, sondern „nur noch eine Mischung aus allen möglichen anderen Wissenschaften“, von der allgemeinen Institutionenlehre bis hin zur Ethik, von der Gehirnforschung bis zur Theologie.

Die alte „Nationalökonomie“, die einst im siebzehnten Jahrhundert schon von John Locke in England und später im neunzehnten Jahrhundert mit größtem praktischen und ideellen Erfolg in vielen Ländern Europas, besonders in Deutschland, gelehrt wurde, verfügte noch über jene Breite des Ansatzes und jenen Zugang zum wahren Leben, die Priddat in der heutigen Wirtschaftswissenschaft so sehr vermißt. Später fing man an, exklusiv auf das Geld zu schielen und Wirtschaft nur noch als bloße Geldvermehrungsmaschine zu verstehen. Das war der Sündenfall, aus dem sich jede weitere Fach-Ignoranz ableitete.

Man reduzierte die Leidenschaften des wirtschaftlich tätigen Menschen resolut auf zwei Grund- und Generalantriebe: Egoismus und Nutzenmaximierung. Allein Egoismus und Nutzmaximierung, so dozierte man nun, regelten die ökonomische Ratio, und eine solche extrem eingeschränkte Ratio ließ sich natürlich leicht formalisieren und mathematisch modellieren. Bald wimmelte es von mathematischen Wirtschaftsmodellen, mit deren simpler Anwendung man optimalen Gewinn einfahren könne. Und fast für jedes neue Modell setzte es einen Wirtschaftsnobelpreis!

Tatsächlich hatte dieses Treiben ja zunächst auch Erfolg. Nackter Egoismus und mathematikgestützte Nutzenmaximierung sind zweifellos zwei machtvolle Faktoren jedes Wirtschaftslebens, und die gewaltige Reklame, die man für sie in den Medien und an den business schools organisierte, tat ihre Wirkung. Die Masche lief eine ganze Weile blendend – aber die Katastrophe war von vornherein in ihr angelegt. Der Krug geht nur so lange zum Wasser, bis er bricht, und je mehr man ihn strapaziert, um so früher bricht er.

Auch der geldgeilste Wirtschaftsteilnehmer ist eben immer mehr als bloßer Großmaximierer, er ist zum Beispiel auch Politiker, der vielerlei Interessen bedient, oder er ist Augenblicksdenker, der keineswegs immer nur streng rational kalkuliert und manchmal herbe finanzielle Verluste und Insolvenzen gelassen hinnimmt, sie sogar bewußt inszeniert. Er ist in alle möglichen „Netzwerke“ eingespannt, um es modisch zu sagen, er hat es eventuell mit der Ethik, ist strenger Kirchgänger oder ästhetischer Sonderling. Mit all dem, sagen Priddat und Kovce, muß eine realistische Wirtschaftswissenschaft rechnen.

Vor allem die für das Überleben des Faches so notwendige verläßliche Prognostik hängt davon ab. Wirtschaftswissenschaft, die ernst genommen werden will, ist historisch-empirische Wissenschaft, die Empirie aber ist widerspenstig und ungemein komplex, sie steckt voller überraschender Kehren und historischer Scherze. Wer sie auf einige wenige armselige Axiome und Formeln reduzieren will, beweist à la longue lediglich seine akademische Unzuständigkeit und Überflüssigkeit.

Wer dies bedenkt (und zumindest jeder Bildungspolitiker sollte es bedenken), der sollte einschneidende Änderungen unseres wirtschaftsorientierten Bildungssystems ins Auge fassen. In dieser Forderung münden die „Zwölf Thesen“ von Priddat und Kovce. Wenn man, wie bisher üblich, Ökonomie weiter als kodifizierten Standard lehrt, so prognostizieren sie, wird man weiter verhängnisvoll scheitern. Die Wirtschaftswissenschaft sollte stattdessen so schnell wie möglich „in ein transdisziplinäres Feld“ überführt werden, mit allen organisatorischen und methodologischen Konsequenzen.

Sie nennen auch einige Fachkollegen, denen sie die große Transformation zutrauen, Armin Falk etwa, den jungen Axel Ockenfels, George Loewenstein, vor allem aber den von ihnen hochverehrten und als Verbündeter angerufenen Ernst Fehr, seines Zeichens ordentlicher Professor für Mikroökonomik und experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich. Wenn einer wirklich den Wirtschaftsnobelpreis verdiene, dann Ernst Fehr.

Hier aber riskiert Pankraz einen Zwischenruf. Ernst Fehr für den nächsten Wirtschaftsnobelpreis? Nur das nicht! Es wäre sein Tod als ernstzunehmender Ökonom.

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