© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

„Da rezi … ritzi … tier ich dir“
Psychopathische Kostbarkeiten: Talkshows mit dem Wüterich Klaus Kinski auf DVD
Harald Harzheim

Wie Nietzsche oder Hölderlin stellte auch Klaus Kinski sein Publikum vor die Frage, inwieweit sein Wahnsinn echt oder „gespielt“ war. Ob Rolle und Privatperson trennbar sind oder eine unzerstörbare Synthese bilden. Klaus Kinski, eigentlich Klaus Günter Karl Nakszyński, der dieses Jahr seinen 85. Geburtstag gefeiert hätte, riß die Grenze zwischen Rollen wie Jack the Ripper, Aguirre, Nosferatu, Woyzeck, Edgar-Wallace-Mördern, Paganini und öffentlicher Person radikal nieder: in spektakulären Pressekonferenzen oder drei Autobiographien „Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund“, „Ich brauche Liebe“ und „Paganini“, die ihn als manische Sexbestie präsentieren. Wer noch zweifelte, wurde durch die legendären Talkshow-Auftritte restlos bekehrt.

Diese psychopathischen Kostbarkeiten, die dem damaligen TV-Publikum den ersehnten Empörungsstoff lieferten, wurden jetzt dem staubigen Archiv entrissen und auf DVD ediert. Der erste Teil dieser verdienstvollen Rettungsaktion enthält die 30-Minuten-„Performance“ des Extremdarstellers in Reinhard Münchenhagens WDR-Sendung „Je später der Abend“ vom 2. Juli 1977. Ein ungleiches Kräfteverhältnis seit der ersten Sekunde: Der Moderator schaut zu Boden, kann mit dem berserkerhaften Gast keinen Blickkontakt halten. Kinski hingegen, im lässig aufgeknöpften Hemd, aus dem Brusthaare hervorsprießen, ändert den Namen „Münchenhagen“ in „Münchhausen“ und weigert sich, auf dessen „vollkommen sinnlose Fragen“ überhaupt einzugehen – selbst Klosprüche seien intelligenter formuliert.

Schnell redet sich der Schauspieler in Rage, schimpft gegen deutsche Zeitungen mit ihrem „Kasernenhofjargon“, die ihn als „Mörder vom Dienst“ abstempeln würden. Als ein Studiozuschauer sich einmischt und Kinski zurechtweisen möchte, brennt die Sicherung völlig durch: „Wer eine Show macht, ist der Boß“, faucht der erzürnte Star, die „Rolling Stones“ hätten absolut recht, wenn sie Störenfriede im Publikum von Leibwächtern verprügeln ließen. Für den Rest der Talkshow kann sich Kinski über diese „Frechheit“ nicht mehr beruhigen. Resumee des erschöpften Moderators: Eine Diskussion mit Zootieren sei leichter als mit Kinski ...

Das alles aber nimmt sich harmlos aus gegenüber dem Interview, das er 1985 mit Helga Guitton für die RTL-Sendung „Wer bin ich?“ führte. Anlaß war die Filmpremiere von „Kommando Leopard“ in Berlin. Frau Guitton trifft ihn am Frühstückstisch seines Hotels. Kinski futtert Krabben und geht auf keine der Fragen ein, gibt sie an den – ebenfalls anwesenden – Schauspielkollegen Hans Leutenegger weiter.

Als die Interviewerin erfährt, daß Leutenegger keine Schauspielausbildung hat, fragt sie: „Du hast einen Mann an deiner Seite akzeptiert, der noch nie geschauspielert hat?“ – Kinski schaut sie an und fragt: „Bist du etwa ein Mann?“ – Guitton fragt, ob er nochmal frühere Villon- und Nietzsche-Rezitationen aufführen wolle. Kinski: „Komm mal nachher auf mein Zimmer. Da rezi...ritzi...tier ich dir.“ Delier und Infantilität wechseln einander ab. Als Kinski in den letzten 20 Minuten endlich Ernst macht, packt ihn derselbe Furor wie bei Münchenhagen: Jeder Affekt, jede Regung spiegelt sich in seinem Gesicht, seinen Augen, der Atem beschleunigt sich, Unterbrechung wird nicht geduldet. Monologisch preist er Amerika, dessen weite Räumlichkeiten und Regenerationsfähigkeit. „Die Jugend“, so findet er, „ist phantastisch, überall. Jugend ist die unverdorbene Kraft.“ Sie habe recht, den Erwachsenen entgegenzurufen: „Hört auf, uns euren Scheiß zu diktieren.“ Schließlich bestehe die moderne Gesellschaft aus gegenseitiger Erpressung und Verleumdung, sie „ruiniert systematisch die Instinkte und Gefühle von Menschen“. Metropolen wie Berlin erkennt er als „perfekt hinterlistig, mörderisch perfekt und die Menschen sind die Opfer“. Und selbstredend kriegt der Gegenwartsjournalismus wieder sein Fett weg, dessen Klischees „schlimmer als Aids“ wirkten.

Natürlich sind Kinskis Wutmonologe im höchsten Maße unterhaltsam, natürlich besitzt der Selbstdarsteller unbegrenztes Charisma. Dennoch schlägt der Amüsierfaktor irgendwann in Mitleid um: Denn seine narzißtische Raserei macht jeden Dialog unmöglich, läßt den Partner außerhalb, degradiert jede (zugegeben oft blöde) Frage zum Anlaß neuer Ausbrüche. Das aber hüllt den Wüterich in eine Isolation, eine Einsamkeit, deren Betrachtung schmerzt. Erneut stellt sich die Frage: Wieviel davon war Show?

Dazu liefert die DVD als Bonusmaterial zwei Interviews: Reinhard Münchenhagen erklärt aus dreißigjähriger Distanz, daß Kinski sich vor und nach der Sendung zuvorkommend, ruhig, fast schüchtern verhalten habe. Hans Leutenegger hingegen betont, daß der Mime sich je nach Gegenüber verhalten habe: Zu einem unendlich freundlich, zu einem anderen roh und beleidigend. Aber gemeinsamer Antrieb beider Gesichter sei Kinskis grenzenloser Narzismus gewesen, der Wunsch, um jeden Preis im Mittelpunkt zu stehen. Im Guten wie im Schlechten.

In beiden Fällen hielt er sein Publikum in Atem.

Foto: Klaus Kinski mit Manfred Krug in der Talkshow „Je später der Abend“ (1977): „Sinnlose Fragen“

Kinski Talks 1. Universal/Music 2010, Laufzeit etwa 148 Minuten, ab 14,99 Euro

Eine DVD „Kinski Talks 2“ ist für März dieses Jahres geplant.

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