© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Furcht vor Spionen liegt in der Luft
JF-Reporter Billy Six über die Arbeitsbedingungen für Journalisten auf dem Tahrirplatz und seine Festnahme
Billy Six

Nasser wurde durch Gift getötet, Präsident Sadat durch eine Kugel – und Mubarak stirbt durch Facebook.“ Der 17jährige Schüler Ahmed strahlt kämpferisch, auch wenn nur die Todesursache Sadats wirklich nachweisbar ist. Sichtweisen und Tatsachen klaffen in unübersichtlichen Zeiten oft auseinander – auch auf dem „Befreiungsplatz“ im Zentrum von Kairo.

Hoffnung und Freude sind aber ehrlich in den Tagen des friedlichen Protests gegen die Regierung des Autokraten Hosni Mubarak. Moslems und Christen liegen sich in den Armen. Junge Frauen, mit und ohne Schleier, lassen sich auf den Panzern der Armee ablichten. Ein Paar feiert Hochzeit inmitten der Massen.

Dies sind auch die Bilder, welche die westlichen Medienvertreter zu sehen bekommen, wenn sie sich sporadisch in die Menge der Demonstranten vorwagen. Wirklich wohl scheinen sie sich aber nur in den umliegenden Luxushotels zu fühlen. „Wahnsinn, das ist das Beste, was ich in den letzten Tagen gesehen habe“, sagt einer von vier kanadischen Journalisten im verbarrikadierten Hilton, als sich zwei attraktive Ägypterinnen recht freizügig an den Nachbartisch gesellen.

Den Journalisten ist anzumerken, daß sie sich unwohl fühlen. Die Kultur ist fremd. Und gutes Bier gibt es auch nur in der Unterkunft. Komfort erster Klasse für 1.000 US-Dollar die Nacht. Von hier aus entstehen die Fernsehbilder der Massendemonstration – aus dem 15. Stockwerk in sicherer Entfernung aufgenommen.

Muslimbrüder setzen sich für einen Journalisten ein

Etwas anders sieht es in den provisorischen Zeltanlagen zwischen Ägyptischem Museum und Parlament aus. Einige tausend harren dort Tag und Nacht aus. Die tatsächlichen Beweggründe der Massen lassen sich nicht in kurz angebundenen Mediengesprächen eiliger Reporter in Erfahrung bringen. Sorgen und Nöte, ja die oftmals widersprüchlichen Gedanken der Revolutionäre konnte ich nur stückweise in Erfahrung bringen. Einfühlungsvermögen und Zeit – wer dies im Orient mitbringt, hat oft schon gewonnen. Über mehrere Tage habe ich mit den Demonstranten an vorderster Front gelebt. In einem Zelt auf dem Tahrirplatz. Wirklich heftige Übergriffe auf Medienvertreter gab es nicht. Allerdings werde ich sechs Stunden durch den Geheimdienst verhört, weitere zwei Stunden durch Soldaten. In beiden Fällen erfolgt die Festnahme spontan nach der alltäglichen Paßkontrolle. Das Gepäck wird gefilzt, die immer gleichen Fragen gestellt. „Was machen Sie noch in Ägypten?“ Die Furcht vor Spionen liegt in der Luft. Das Schlimmste: Die Fotos werden einkassiert.

Manch einer der Festgenommenen reagiert ängstlich. Andere überheblich. Alle berufen sich auf zivilisierte Zustände, wollen sich beim Botschafter beschweren. Beide Verhaltensmuster stoßen auf Achselzucken bei jenen Männern, die sich als Verteidiger ihrer Heimat sehen. Ein offenes Gespräch, ein kleiner Spaß und Verständnis für die Arbeit der Staatsdiener – zumindest mir hilft es. Alle Dokumente und Bilder erhalte ich zurück. Kaum ist das eine Verhör beendet, da gibt es Ärger mit einem weiteren Militär, einem Panzerkommandanten. Er will nicht länger dulden, daß ein Ausländer an den Barrikaden „inmitten der kritischen Situation“ übernachtet. Diesmal sind es überraschenderweise die gefürchteten Muslimbrüder, die sich für mich einsetzen. „Halt, das ist unser Bruder“, ruft die bunt gemischte Männerschar dem Offizier zu.

Im Westen gelten die Fundamentalisten als gefährlich. Tatsächlich sind ihre Auffassungen nicht mit unseren Vorstellungen von Pluralismus und Gewaltenteilung zu vereinbaren. „Die Juden sollen Palästina verlassen und in die Länder gehen, aus denen sie herkamen“, ereifert sich ein junger Anwalt. Er hofft außerdem auf die Einführung der Scharia – Steinigungen und Amputationen würden vor falschen Taten abschrecken. Eigenartige Vorstellungen. Doch in dieser Situation verdanke ich ihnen, daß es keinen weiteren Ärger mit dem ägyptischen Militär gab.

 

Ägyptische Zeitung entschuldigt sich

Die ägyptische Tageszeitung „Al-Ahram“ hat sich für die mangelhafte Berichterstattung während des Volksaufstandes gegen Präsident Hosni Mubarak entschuldigt. Selbstkritisch räumten 300 Redakteure Korruption und Zensur in ihrem Unternehmen ein. Leitungsfunktionen seien an Günstlinge der Familie Mubarak oder an seine Parteigänger vergeben worden. Professionalität habe eine untergeordnete Rolle gespielt. Der Volksaufstand der Ägypter ist auch durch den Unmut über die Staatsmedien ausgelöst worden, die nur Lügen im Sinne des Regimes verbreitet haben. Erste Demonstrationen fanden daher vor dem staatlichen Rundfunksender statt.

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