© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Ohne Säkularisierung kein Rechtsanspruch
Der Staatsrechler Karl Albrecht Schachtschneider über die Religionsfreiheit im Spannungsfeld zum Islam
Harald Seubert

Unter dem Zeichen der Religionsfreiheit werden im öffentlichen Diskurs und in der Verfassungswirklichkeit, vor allem im Blick auf den Islam, alle Dämme gelöst und Differenzierungen eingeebnet. Wer Bedenken anmeldet, wird des Kulturkampfs verdächtigt.

Um so wichtiger ist es, daß Karl Albrecht Schachtschneider nun eine knappe, höchst erhellende Rechtsdogmatik der Religionsfreiheit vorlegt, die, wie man es von diesem Autor gewohnt ist, intellektuellen Scharfsinn, stilistische Brillanz mit höchster Begriffsklarheit und einem unbestechlichen Blick auf Realität und Normativität verbindet. Religionsfreiheit ist zunächst Bekenntnisfreiheit, so zeigt Schachtschneider. Sie bezieht sich im Sinne der Zwei-Reiche- oder Zwei-Welten-Lehre auf innere Glaubens- und Gewissensfreiheit und hat ihre Manifestation nach außen als Recht zu religiösem Kultus und Gottesdienst, welches durch die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung geschützt wird.

Zu Recht legt Schachtschneider den Kern des Bekenntnisbegriffs wieder frei, der in einer sich vom Reformationszeitalter herschreibenden Begriffsgeschichte auf die „Freiheit der Konfession“ und im Sinne von Erasmus auf die von ihr abgeleitete Religionstoleranz bezogen und begrenzt ist. Schachtschneider zeigt in der Folge seiner fundamentalen Studien über „Freiheit in der Republik“ (2007), daß ein Recht, das sich auf die zweite, transzendente Welt bezieht, mit dem republikanischen Freiheitsrecht des Staates wohl verstanden gar nicht in Konflikt kommen kann. Dies bedeutet umgekehrt die Nicht-Identifikation und Neutralität staatlicher Gesetzgebung gegenüber jedweder Religion. Habermas’ Maxime, daß religiöse Bürger ihre Glaubensauffassungen auch in die Politik einbringen dürften, nennt Schachtschneider von hier her „antiaufklärerisch“. Gleiche republikanische Freiheit ist, so Schachtschneiders Plädoyer, in der Folge Kants auf formale Sittlichkeit zu orientieren. Die Implementierung von Religion in Politik und Gesetzgebung würde diesem Grundsatz widersprechen.

Zugegeben, diese Erwägungen werden bei konservativen Christen nicht uneingeschränkt Zustimmung finden. Man wird aber, wenn man Schachtschneider in der Explikation des republikanischen Vorrangs des Weltlichen vor dem Geistlichen und mehr noch der brillanten Kontrastierung von säkularisiertem Christentum und politischem Islam folgt, sehen, daß erst von dieser aufgeklärten, philosophisch vertieften Rechtsdogmatik her ein Vorhalt gegen die Unterminierung des Rechtsstaates, etwa mit Elementen der Scharia, zu formulieren ist.

Und man sollte nicht verkennen, daß Schachtschneider, der überzeugte Protestant und Sohn eines in der Bekennenden Kirche profilierten Pfarrers, sehr genau weiß, daß die Freiheit in der Republik letztlich auf das christliche Liebesgebot zurückverweist, die Botschaft von der Menschwerdung Gottes, in deren Zentrum der Verzicht auf äußere politische Gewalt steht. In dieser Rechtsdogmatik liegt auch der Anstoß zu einer Rückbesinnung von Kirche und christlicher Theologie auf ihren Kern.

Der Islam paßt per se nicht zur republikanischen Ethik

Schachtschneider legt dann dar, weshalb die Bekenntnisfreiheit gerade nicht auf öffentliche Manifestationen des Islams umstandslos bezogen werden kann: Der Islam sei per se, keineswegs erst als Islamismus, mit einer republikanischen Ethik unvereinbar, die im Sinne der Gewissensfreiheit Religionspluralismus sichert. Der Islam dogmatisiere auch keinen Staat und sei zwingend Politische Religion. Dies begründet Schachtschneider aus profunder Literaturkenntnis, ohne jede Polemik oder Mißachtung. Man muß in der Verwirrung der Begriffe und der Emotionalisierung diesem bedeutenden Rechtslehrer dankbar sein, wenn er im Blick auf Suren wie: „Ihr seid das beste Volk, das je unter Menschen entstand. Ihr gebietet nur das Rechte und verbietet das Unrecht und glaubt an Allah“ darauf insistiert, daß der rechtsdogmatische Kern der Säkularisierung, eben die Trennung von Religion und Recht (Politik), ohne die ungestörte Religionsausübung nicht begründet werden könne.

Schachtschneider kann mit guten Gründen auch im Euro-Islam keine Lösung sehen. Wesentliche Elemente der Demokratie, Freiheit und Gleichheit, Volkssouveränität, Mehrheitsprinzip sind einem Gesetzesbegriff als „Wille und Weisheit Gottes“ inkommensurabel. Von Schachtschneider her wird man es als gefährliche Täuschung, als Gleichbehandlung des Ungleichen, begreifen müssen, wenn das Votum, daß der Islam inzwischen „auch zu Deutschland gehöre“ (Christian Wulff), als Losung und Lösung der Probleme ausgegeben wird. Da Muslime „keine Kirche“ bilden, sondern in Religionsvereinen verfaßt sind, entsteht eine weitere schwierige Rechtslage, die Schachtschneider glänzend analysiert. Es müßte zwischen Religionsausübung im religionsgrundrechtlichen Sinn und sonstigen Betätigungen unterschieden werden. Doch eben dies dürfte aus den genannten Gründen schwierig, wenn nicht unmöglich sein.

Ein glänzendes Stück Rechtslehre ist dann die Kritik an einer „negativen Religionsfreiheit“, die sich heute mitunter bis zu Rechtsparadoxa wie dem, „von der Freiheit keinen Gebrauch zu machen“, versteigt. Dies wäre ein probates Mittel, im Namen der eigenen Religion Eingriffe in allgemeine Freiheitsrechte zu fordern. Schachtschneider zeigt, daß negative Freiheit niemals Fremdbestimmung begründen kann, sondern im Sinne Kants als „die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ verstanden und auf diesen Begriffsgebrauch begrenzt werden muß.

Daß viele Muslime in der westlichen Welt so zu leben suchen, wie es deren freiheitlich-christlicher und aufklärerisch-sittlicher Entwicklung entspricht, anerkennt Schachtschneider ausdrücklich. Anders kann indes Integration nicht möglich sein. Dieses luzide Buch bringt eine neue Klarheit und ein neues Niveau in die Debatte. Wem es um Freiheit in der Republik zu tun ist, wird sich mit ihm auseinandersetzen müssen.

Karl Albrecht Schachtschneider: Grenzen der Religionsfreiheit am Beispiel des Islam. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 2010, broschiert, 140 Seiten, 18 Euro

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