© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/11 25. Februar 2011

Spurenleser
Die Katholische Pfadfinderschaft Europas sieht sich als Teil einer großen Familie
Christian Schwiesselmann

Pfadfinder – das klingt wie Stockbrot am Lagerfeuer, Geländespiele mit Kompaß und Wanderungen im Gebirge. Jugendliche in kleinen Gruppen (Sippen) pirschen sich voran durch unwegbares Terrain. Ihr Ruf „Allzeit bereit“ erschallt. Wie beim Militär tragen sie Uniformen (Kluft), so daß soziale Unterschiede keine Rolle mehr spielen – ganz nach der Vorstellung des Gründervaters Robert Baden-Powell (1857–1941).

Der mehrfach für den Friedensnobelpreis vorgeschlagene Lord war nicht nur ein erfahrener britischer Kavallerieoffizier und Spurenleser (Scout), sondern auch ein überzeugter Christ. Sein Credo – „Versucht die Welt ein bißchen besser zu hinterlassen, als ihr sie vorfunden habt“ – durchzieht die Pfadfinderbewegung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch im jugendbewegten Deutschland Anklang fand.

Davon zeugt noch heute eine große Vielfalt an christlichen Pfadfinderverbänden im Heimatland der „Wandervögel“. Allein im Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder sind zur Zeit 47.000 evangelische Mädchen und Jungen organisiert. Auf der katholischen Seite dominiert die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg, die schon 1929 gegründet wurde und mehr als 95.000 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Abenteuer bieten möchte. Dagegen wirkt die Katholische Pfadfinderschaft Europas (KPE), die im Februar 2011 ihr 35jähriges Bestehen feierte, mit zirka 2.000 Mitgliedern vergleichsweise unscheinbar.

Statt Waldorf-Pädagogik Don Bosco als Vorbild

Als sie am 15. Februar 1976 von Andreas Hönisch und Günther Walter in Fortbach bei Gießen ins Leben gerufen wurde, hatte dies vor allem einen Grund: die Abneigung gegen den Geist von 1968, der aus ihrer Sicht auch in katholischen Jugendverbänden zu „faulen“ Kompromissen mit dem Zeitgeist geführt hatte. Der Jesuitenpater Hönisch rebellierte dagegen. Statt auf Annäherung an die säkulare Gesellschaft setzte er auf Treue zum Papst. Statt Waldorf-Pädagogik schätzte er den Turiner Sozialheiligen Don Bosco.

Hönisch hatte als Jugendseelsorger in Berlin und Gießen die Pfadfinderidee kennengelernt und wünschte sich eine Rückbesinnung auf die originär katholischen Pfadfinderideale. Dazu gehörten für den späteren Ordensgründer der „Servi Jesu et Mariae“ (Diener Jesu und Mariens) die Wanderlust, der Sinn fürs Konkrete, die Charakterformung, der Geist des Dienens und ein starker Gottesbezug. Seine Marienverehrung spiegelte sich auch im Namen der KPE-Zeitung wider: „Pfadfinder Mariens“.

Die Inspiration kam – wie so oft – aus Frankreich, wo sich bereits 1963 eine religiös ähnlich ausgerichte Fédération du Scoutisme Européen (Bund der Pfadfinder Europas) gegründet hatte. Im Sommer 1975 trafen Pfadfinder aus Offenbach in Lourdes auf eine französische Gruppe der „Scouts d’Europe“, die durch besondere Frömmigkeit und Hilfsbereitschaft gegenüber kranken Pilgern auffielen. Dies war die Geburtsstunde der KPE. Ihre Gründerstämme liegen in Erlenbach, Offenbach und Gießen. „Von dort breitete sich die KPE über das Bundesgebiet aus“, erinnert sich Hanni Christoph, die Bundesmeisterin der Pfadfinderinnen. Nach wie vor liege der Schwerpunkt im Süden, aber auch in Berlin und NRW gebe es Gruppen.

Für die Pfadfinder Mariens die Hand ins Feuer

Schon bald nach der Gründung hagelte es Kritik, insbesondere von der Deutschen Pfadfinderschaft St. Georg. Sie warfen den Pfadfindern Mariens „Spaltungsversuche“, „Rückständigkeit“, „Sendungsbewußtsein“ und eine „vorkonziliare Glaubensvorstellung“ vor. Erst vor kurzem verteidigte die CDU-Politikerin Johanna Gräfin von Westphalen die Pfadfinder Mariens öffentlich: „Für die KPE kann ich meine Hand ins Feuer legen“, sagte sie in der Ahlener Zeitung. Die Pfadfinder würden deshalb angefeindet, weil sie noch moralisch seien. Alkohol und Kondome hätten in Zeltlagern nichts verloren. KPE-Mitglieder seien dazu angehalten, jeden Tag in die Kirche zu gehen, den Rosenkranz zu beten, einmal in vier Wochen zu beichten und sich an christliche Grundsätze wie die zehn Gebote zu halten.

Ein weiterer Angriffspunkt ist offenbar die Trennung von Jungen und Mädchen. „Die KPE praktiziert eine differenzierte Koedukation“, erklärt Hanni Christoph: „Das heißt, bestimmte Aktionen und Veranstaltungen werden von Jungen und Mädchen gemeinsam gestaltet, bestimmte Aktionen getrennt.“ So finden Gruppenstunden und Lager separat statt; religiöse Angebote, Singen und Musizieren, Elternnachmittage, Diensteinsätze und Katechesen sind gemeinschaftliche Angelegenheit. Dadurch könne man den verschiedenen Interessen und Entwicklungsstufen von Jungen und Mädchen besser gerecht werden, weiß die Bundesmeisterin aus ihrer Erfahrung zu berichten.

Die Erfolge sprechen für sich. Viele ehemalige Pfadfinder konnten sich für den Pfarrerberuf erwärmen. Allein in Frankreich kommen derzeit 35 Prozent des Priesternachwuchses aus dem pfadfinderischen Umfeld, bilanzierte Günther Brand, Landesfeldmeister von Franken, die Arbeit der Pfadfinderschaft in der Elternzeitschrift der Organisation. Seitdem der Dachverband der KPE – Union Internationale des Guides et Scouts d’Europe – 2003 vom päpstlichen Laienverband offiziell anerkannt wurde und Joseph Kardinal Ratzinger die Arbeit der Pfandfinderschaft lobte, scheint der Bann gebrochen.

Im selben Jahr hob die KPE das Neu-Ulmer Meistersingen aus der Taufe. Der Sänger- und Instrumentalwettstreit umrahmte auch das aktuelle Gründungsjubiläum 2011. Insgesamt 23 Teilnehmergruppen boten eigene Kompositionen dar und stimmten sich musikalisch auf den Hildegardiswettkampf zu Pfingsten ein. Hönisch, der 2008 verstarb und selbst gerne zur Gitarre griff, prägte das Selbstverständnis dieser christlichen Gemeinschaft: „Die KPE möchte in ihrem religiösen Leben nicht anderes praktizieren, als dies auf ihre je eigene Art jede normal katholische Familie tut.“

Sommerlager der KPE: In kleinen Gruppen lernen Jugend­liche, Verantwortung für sich und die Gemeinschaft zu übernehmen.

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