© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/11 04. März 2011

Die Angst vor dem großen Stühlerücken
Kabinett: Der Rücktritt Guttenbergs offenbart die Personalnot der Union
Paul Rosen

Dem schnellen Aufstieg folgte der steile Fall. Karl-Theodor zu Guttenberg ist nicht nur seinen Doktortitel, sondern auch seine politischen Ämter los. Die bürgerliche Regierungskoalition in Berlin hat ihren Star verloren. Nur durch Absetzbewegungen in letzter Minute konnte größerer Schaden für die Unionsparteien abgewendet werden.

Fakt ist: Kanzlerin Angela Merkel, alle Stäbe in Kanzleramt, Bundespresseamt und den Parteizentralen von CDU, CSU und FDP haben die Wucht der Dissertationsaffäre und den öffentlichen Druck falsch eingeschätzt. Die Äußerung der Bundeskanzlerin, sie habe Guttenberg als Minister und nicht als „wissenschaftlichen Assistenten“ eingestellt, versetzte die wissenschaftlichen Assistenten und überhaupt weite Teile der deutschen Akademikerschaft in Wut. Daß etwa 30.000 einen Protestbrief an Merkel wegen des erschwindelten Doktortitels eines Ministers unterschrieben und damit wesentlich zum Sturz beitrugen, sollte allerdings nicht als „Sieg des Internets“ fehlinterpretiert werden.

Es ging um Werte wie Ehrlichkeit, Anständigkeit und Verantwortung. Der Sturm wäre auch zu Zeiten der Kofferschreibmaschine entstanden – nur hätte der Massenprotest länger gedauert.

Ein Festhalten der Union an Guttenberg hätte Stimmen gekostet – sehr viele Stimmen sogar. Die Chancen bei den Landtagswahlen gerade im bürgerlichen Stammland Baden-Württemberg, wo am 27. März gewählt wird, wären gesunken, wenn die Union einen „Lügner, Täuscher und Betrüger“ (Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin) weiter in ihrer Führungsmannschaft gehabt hätte.

Dabei hätte ein geschwächter Guttenberg einigen in der Union ganz gut ins Konzept gepaßt. Nachdem sich die Koalitionsspitzen in der vergangenen Woche noch massiv vor ihren Minister gestellt hatten und an ihre Worte jetzt vermutlich nicht mehr erinnert werden wollen, sah es einige Tage lang wieder ganz gut aus für den „Baron aus Bayern“ (Gerhard Schröder). Merkel hatte keine Konkurrenz vom beliebtesten deutschen Politiker mehr zu befürchten, und so stimmte natürlich, was der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel sagte: „Herr zu Guttenberg ist jetzt ein Minister auf Abruf, ein Minister von Merkels Gnaden.“ Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer konnte sicher sein, durch Guttenberg kurzfristig nicht mehr abgelöst zu werden, nachdem der Verteidigungsminister auch von Wissenschaftlern wie dem Bayreuther Rechtswissenschaftler Oliver Lepsius öffentlich als Betrüger bezeichnet worden war.

Für den jungen Minister sah es immer schlechter aus. Der Protest innerhalb der Unionsfraktion von Abgeordneten, die ihren Namen nicht nennen wollten, aber bei den Journalisten unaufhörlich anriefen, wollte nicht verstummen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) soll ausgerechnet vor SPD-Abgeordneten von „einem Sargnagel für das Vertrauen in die Demokratie“ durch Guttenberg gesprochen haben. Die Äußerung wurde nie dementiert. Als offenbar im Namen zahlreicher CSU-Kollegen der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein aufstand und erklärte, die Affäre schade der Partei und Guttenberg selbst, war zu ahnen, daß sich das Blatt zu wenden begann.

Final erledigt war Guttenberg in dem Moment, als Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) sagte, „als jemand, der selbst vor 31 Jahren promoviert hat, und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme ich mich nicht nur heimlich“. Schavan gilt als inoffizielles Sprachrohr der Kanzlerin. Das ist in Berlin bekannt, seitdem sie 2002 den Bayern Edmund Stoiber in einen Streit um Kompetenzen verwickelte.

Stoiber, der wußte, daß in Wirklichkeit Merkel dahintersteckte, gab auf und flüchtete nach München. Als Schavan Guttenberg angriff, war klar, daß Merkel ihre Haltung geändert hatte und Seehofer einverstanden war. Guttenbergs Rücktritt war nur noch eine Frage von Stunden.

Am Tage des Rücktritts war unklar, wer Guttenberg nachfolgen wird. Die Entscheidung soll bis Freitag gefallen sein. Ein großes Stühlerücken hatte Merkel nicht im Sinn. Somit schieden Überlegungen, Innenminister de Maizière (CDU) solle Verteidigungsminister werden, aus, weil die CSU dann mit einem anderen Ressort hätte abgefunden werden müssen. In der CSU, die das Verteidigungsministerium nachbesetzen soll, stapelten sich sehr schnell die Erklärungen, wer es nicht werden will: Verkehrsminister Peter Ramsauer und Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich lehnten sofort ab. Die Union tat sich schwer mit der Nachfolgersuche, was auch zeigt, welcher Mangel an Sicherheits- und Verteidigungspolitikern herrscht.

Foto: Guttenberg nach seinem Rücktritt: „Lügner, Täuscher und Betrüger“

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