© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Die Spitzel sind unter uns
DDR-Staatssicherheit: In deutschen Behörden gibt es noch immer Altlasten
Detlef Kühn

Roland Jahn wird in einigen Tagen sein Amt als Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) antreten. Die Beobachter sind sich einig: Der Journalist ist eine gute Besetzung und wird die Bundesbehörde im Geist seiner Vorgänger, Joachim Gauck und Marianne Birthler, führen. Der Dissident und Bürgerrechtler aus Jena hatte genügend Erfahrungen am eigenen Leib mit dem Unrechtsregime in der DDR gemacht, bis er 1983 gewaltsam in den Westen Deutschlands verfrachtet wurde. Hier setzte er von West-Berlin aus die Unterstützung seiner politischen Gefährten in Thüringen und Ost-Berlin fort und erregte damit immer wieder das wütende Interesse des MfS, das ihn weiter mit Verfolgungsmaßnahmen überzog.

Jahn weiß, mit wem er es zu tun hatte und welche Bedeutung der Aufarbeitung der Stasi-Hinterlassenschaft zukommt. Daß er auch in der eigenen Behörde auf personelle Stasi-Kontinuitäten stoßen kann, ist ihm nicht nur theoretisch bekannt, sondern erst dieser Tage erneut praktisch bewiesen worden, als der langjährige Vorsitzende des Hauptpersonalrats der Behörde, Lutz Penesch, sein Amt und Mandat wegen eigener Spitzel-Verstrickungen niederlegte. Da dies kein Einzelfall und die Rechtslage nicht einfach ist, wird Jahn in seinem Amt der Unterstützung durch einen nicht nur erfahrenen, sondern auch absolut integren leitenden Beamten bedürfen, soll ihm (und uns allen) weiteres Ungemach erspart bleiben.

Auch im Land Brandenburg tut man sich schwer mit Altlasten aus dem Stasi-Bereich. In den letzten Wochen wurden in Cottbus ein Polizei-Sprecher und der Leiter der örtlichen Polizeiwache enttarnt. Dabei handelt es sich nicht um Einzelfälle. Fraglich ist allerdings, ob und inwieweit man 20 Jahre nach der Wiedervereinigung noch arbeits- oder beamtenrechtliche Konsequenzen aus Stasi-Verstrickungen ziehen kann. Die Entscheidung wird nur nach einer gründlichen Prüfung des Einzelfalls getroffen werden können. Zu dieser Prüfung muß man in den Behörden aber auch bereit sein. Immerhin spricht es für die Effizienz der Arbeit der Stasiunterlagen-Behörde, daß immer mehr teilweise vernichtete Akten in mühsamer Kleinarbeit rekonstruiert werden können.

Es fällt auf, daß die jetzt aufgedeckten Fälle ausschließlich haupt- oder nebenamtliche Stasi-Mitarbeiter aus der DDR betreffen. Dabei ist sicher, daß das Ministerium für Staatssicherheit auch im Westen, dem „Operationsgebiet,“ 1989 noch rund 4.000 inoffizielle Mitarbeiter in Wirtschaft und Verwaltung eingesetzt hatte. Die weitaus meisten dieser Personen sind zumindest der Generalbundesanwaltschaft aus der sogenannten „Rosenholz-Datei“ seit langem namentlich bekannt, auch wenn es ihr nur in wenigen hundert Fällen rechtzeitig gelang, ein Strafverfahren zum Abschluß zu bringen.

Jetzt hat sich die Beweislage durch das „System der Informationsrecherche der Hauptverwaltung Aufklärung“ (Sira), das rekonstruierte „Posteingangsbuch“ der HVA, zwar erheblich verbessert. Allerdings sind praktisch alle Fälle strafrechtlich verjährt. Dennoch könnten die neuen Erkenntnisse zum Beispiel bei Beamten durchaus noch disziplinarrechtlich bedeutsam sein – wenn man es nur wollte.

Daran bestehen aber erhebliche Zweifel. Zuletzt wurden im Westbereich des Bundes vor drei Jahren die Fälle IM „Konrad“ im 1991 aufgelösten Gesamtdeutschen Institut – Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (BfgA) und IM „Helene“ im Bundeswirtschaftsministerium bekannt. Obwohl die Akten aller Verfahren beim Generalbundesanwalt theoretisch der zeitgeschichtlichen Forschung zur Verfügung stehen sollen, ist davon in der Praxis wenig zu spüren. Dabei müßte sowohl im öffentlichen Dienst als auch in der noch mehr betroffenen Wirtschaft ein aktuelles Interesse bestehen festzustellen, wo denn diese Agenten des MfS abgeblieben sind, welche Positionen sie heute besetzen, ob sie in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sind oder vielleicht sogar heute noch ihre einstige Spionagetätigkeit für andere Geheimdienste fortsetzen. Erpreßbar dürften sie jedenfalls immer sein.

Auf dem Gebiet der 1990 der Bundesrepublik beigetretenen DDR war es in erheblichem Umfang unvermeidlich, auch politisch belastete Fachleute einzusetzen, einfach weil man kein ausreichendes anderes Personal zur Verfügung hatte. Allerdings sind diese Leute heute sicherlich nicht mehr für jede Aufgabe notwendig, und ein kritisches Auge sollten ihre Vorgesetzten schon auf sie werfen. Das gilt erst recht für MfS-Agenten im Westen, die zu allem Überfluß, soweit sie sich überhaupt zu ihrer Vergangenheit bekennen, die Tendenz haben, ihre Spionagetätigkeit als „Dienst am Weltfrieden“, der einen Dritten Weltkrieg verhindert habe, zu verklären.

Solchen verfälschenden Geschichtsbildern gilt es durch exakte zeitgeschichtliche Forschung zu begegnen. Roland Jahn und seinen Mitstreitern kann man dabei nur Erfolg wünschen.

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.

Die vom Autor verfaßte Broschüre „Das Gesamtdeutsche Institut im Visier der Staatssicherheit“ kann im Internet heruntergeladen werden: www.berlin.de

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