© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

„Charisma löst keine Probleme“
Verändert der Fall Guttenberg unsere politische Kultur? Läßt er die Christdemokraten beschädigt zurück? Der Politologe und CSU-Experte Heinrich Oberreuter über Deutschland und die Union nach dem Abgang des Superstars.
Moritz Schwarz

Herr Professor Oberreuter, stürzt die Regierung Merkel noch „in ein tiefes Loch“, wie der „Spiegel“ die Folgen der Guttenberg-Krise für die Kanzlerin resümiert?

Oberreuter: Nun, immerhin befördert die Art des Umgangs mit dem Fall die Verdrossenheit vieler Bürger: etwa die Trennung von Moral und Politik, die da von der Kanzlerin betrieben worden ist. Es tut einem doch in der Seele weh, daß man sich ausgerechnet von Dieter Bartsch von der Linken anhören mußte, wäre zu Guttenberg volltrunken Auto gefahren, hätte die Kanzlerin genauso argumentieren können, sie habe ihn ja nicht als Fahrer angestellt.

Die „Bild“-Zeitung dagegen meint, es sei gerade sein Rücktritt, der künftig „für mehr Politikverdrossenheit im Land“ sorgt.

Oberreuter: Die Bild-Zeitung verteidigt sich in gewisser Weise selbst, weil sie auch ein Instrument des Hochjubelns von zu Guttenberg war. Es mag ja sein, daß die Bürger, die sich wegen der Person zu Guttenbergs der Politik wieder angenähert haben, sich nun wieder von ihr entfernen. Aber man muß sagen, im Grunde war das dann auch eine ziemlich apolitische und der Demokratie kaum nützliche Annäherung, denn demokratische Substanz wohnt dem nicht inne.

Sie sehen also den Schlüssel für die Zukunft unseres politischen Systems – sprich die Gründe für die notorisch schwindenden Zustimmungswerte der Union und der Parteien insgesamt – anderswo?

Oberreuter: Sicher, es ist unsere zugespitzte Parteiendemokratie an sich, die die Politikverdrossenheit immer weiter befördert. Denken Sie etwa daran, wie die Etablierten – ob sie nun Merkel, Seehofer, Kauder oder wie auch immer heißen – bevorzugt Krisenbewältigung betreiben: indem man – überspitzt formuliert – dem Volk den Mund verbietet: Die Politik befindet gleichsam darüber, wann eine Diskussion zu Ende zu sein hat. Aber in einer Demokratie ist so eine Vorgehensweise grotesk, denn das ist ja nichts anderes als die Herrschaft der Parteien über die Meinungsbildung des Volkes, und Demokratie funktioniert bekanntlich gerade umgekehrt. Diese aufscheinende Doppelmoral erzürnt die Leute, und so suchen sie nach Vorbildern und politischen Führungspersonen, denen sie glauben vertrauen zu können: Leute wie zu Guttenberg, denen sie zutrauen, den Laden zu schmeißen, ohne daß diese selbst richtig in der Politik verankert sind.

Ausgerechnet das Phänomen zu Guttenberg ist also ein Ausdruck der Krise der Parteiendemokratie? Dann müßten die Bürger aber nun doch von ihm enttäuscht sein, schließlich hat er sich nicht als ehrlicher erwiesen – aber das ist nicht der Fall.

Oberreuter: Das ist die negative Seite von Charisma, es führt zu positiven Vorurteilen, die sich dann nicht mehr erschüttern lassen, und schließlich wird nicht mehr kritisch hingeschaut. Dann sind die Medien oder sonst wer schuld, nur nicht der Schuldige selbst. Aber die Wahrheit ist nun mal: Hätte zu Guttenberg keine Fehler gemacht, hätten die Medien auch nicht darüber schreiben können – ob nun ausgewogen oder polemisch.

Was ist mit der CSU? Gerade ist zu Guttenbergs Partei langsam aus ihrer Dauerkrise heraus, da verliert sie mit ihm ihren Paradepolitiker. Droht den Christsozialen jetzt wieder der Abschwung?

Oberreuter: Nein, es ist keineswegs so, daß die CSU nun automatisch in eine neue Krise taumelt. Sicher hat ihr die Lichtgestalt zu Guttenberg genützt, aber ein populärer und charismatischer Politiker alleine löst noch keine Probleme, von denen die CSU genügend hat.

Noch 2010 bescheinigte die „Welt“ den Christsozialen eine tiefe Krise bestehend aus „desaströsen Wahlergebnissen, dem Debakel mit der Landesbank sowie katastrophalen Umfragewerten“, während Parteichef Seehofer hilflos versuche, die Probleme „schön-zureden“ und „wegzugrinsen“.

Oberreuter: Sicher, es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen in der Partei, aber es ist Horst Seehofer immerhin gelungen, die Führungskrise zu beruhigen und die Partei zu stabilisieren.

Die „Zeit“ diagnostizierte noch im Herbst: „Die CSU wendet sich von Seehofer ab.“

Oberreuter: Ich würde sagen, er ist eben erst nach und nach im Amt angekommen, aber er hat im Land und in der Partei Terrain gutgemacht, auch wenn er in der Tat weiterhin leicht umstritten ist. Er geht etwa mit der Fraktion mindestens so rigide um, wie Edmund Stoiber das getan hat. Sicher hat die CSU in der Demoskopie in der letzten Zeit – auch mit zu Guttenberg – keine lineare Entwicklung mehr genommen, sondern eine Berg- und Talfahrt erlebt und damit ist wohl auch in Zukunft zu rechnen. Aber all das hat nichts mit dem Fall Guttenberg zu tun. Das läßt sich nicht auf eine einzige Ursache reduzieren, und es wäre in der Demokratie auch falsch, wenn das Schicksal einer Partei allein an eine einzige charismatische Führungsfigur gebunden wäre.

Ist die CSU-Führung denn wirklich betrübt oder sind Hagen und Gunther vielleicht erleichtert, daß Siegfried tot ist?

Oberreuter: Nun ja, es ist natürlich nie ausgeschlossen, daß bei Rivalitäten, die es immer gibt, auch solche Emotionen aufkommen. Aber nach meiner Erfahrung sind unsere Spitzenpolitiker nicht so primitiv, wie sie in dieser Hinsicht in den Medien gerne dargestellt werden. Sie denken keineswegs ständig nur an sich selbst, sondern schon auch an die Partei und das, was ihr frommt. Ihnen ist klar, daß eine Partei ein Kollektiv ist und man sich immer auch ein Stück zurücknehmen muß. Wenn, dann ist ihr Ziel eher die Beschädigung eines innerparteilichen Konkurrenten, nicht dessen Vernichtung. Denn das Ideal ist der gezähmte Mitbewerber, der gleichwohl immer noch politische Ausstrahlung hat und so der gemeinsamen Sache dient.

Zu Guttenbergs ursprünglich vorhergesagte Karriere – per CSU-Vorsitz und über die Münchner Staatskanzlei ins Bundeskanzleramt einzuziehen – hätte vielleicht Seehofer bedroht, sicher aber Markus Söder, über den gesagt wird, daß er gerne „auch mal eine Blutgrätsche wagt“.

Oberreuter: Dieser Karriereweg ist ein von den Journalisten erfundener. Ob zu Guttenberg wirklich je bayerischer Ministerpräsident werden wollte, ist fraglich. Wenn man mit Herrn Söder spricht, dann hatte zu Guttenberg daran nie Interesse. In der Partei galt er eigentlich längst als „Berliner“. Aber auch ob zu Guttenberg nachdrücklich eine Karriere als Bundeskanzler angestrebt hätte, ist für mich nicht klar. Lediglich, daß er nichts dagegen gehabt hätte, wäre sie ihm zugefallen, dessen bin ich mir sicher. Aber auch dann hätte er festgestellt, daß Charisma nicht ein einziges politisches Problem löst und auch unser demokratisches Institutionengefüge nicht transzendiert. Er hätte rasch erkennen müssen, daß auch ein charismatischer Kanzler eine Opposition hat, daß er am Föderalismus aneckt, daß er mit den Verbänden in Clinch gerät und daß ihm selbst seine Bayern mit ihrem Eigensinn Probleme gemacht hätten.

Horst Seehofer reklamiert bekanntlich, er habe „den KT erfunden“. Also ist dessen Scheitern eine doppelte Niederlage für ihn. Stellt es den CSU-Chef in Frage?

Oberreuter: Richtig ist, daß ohne die Dynamisierung durch Seehofer zu Guttenberg noch etliche Jahre länger gebraucht hätte. Wer sich in den Eingeweiden der CSU auskennt, dem ist zu Guttenberg und sein Talent natürlich schon früh aufgefallen. Aufmerksame Beobachter konnten sehen, daß da etwas heranreift. Aber Seehofer war es, der den Reifeprozeß nicht abgewartet, sondern „den KT“ direkt nach oben geschossen hat, indem er ihn aus dem Stand und zu aller Überraschung erst zum Generalsekretär und dann zum Bundesminister gemacht hat. Damit ist nun für Seehofer natürlich eine große Hoffnung zerschellt, das stimmt. Aber, ob man das nun gleich als eine Art persönliche Niederlage werten kann? Ich würde sagen, sein Konzept ist eben nicht aufgegangen, aber so etwas passiert jedem mal.

Seehofer wird gern Populismus unterstellt. Warum ist der „Populist“ Seehofer nie so populär geworden wie zu Guttenberg, der es darauf gar nicht angelegt hat?

Oberreuter: Für zu Guttenbergs Aufstieg waren nie politische Inhalte verantwortlich, sondern die Sehnsüchte und Erwartungen der Menschen, die – auch massenmedial geschürt – in zu Guttenberg einen ganz anderen Typus von Politiker entdeckt zu haben glaubten: unabhängig, authentisch, ehrlich, gerade, nicht jedes Wort opportunistisch abwägend und nicht von einer Parteikarriere glattgeschliffen. Im Grunde galten für ihn außerpolitische Maßstäbe. Während Horst Seehofer, wie das meiste Führungspersonal in den Parteien, das genaue Gegenbild darstellt: ein typisches Produkt unserer Parteiendemokratie. Seehofer hat Schwierigkeiten, seinen Namen mit einem Konzept oder Zukunftsentwurf verbunden zu sehen. Gut, immerhin hat er jetzt das Leitbild des ausgeglichenen Haushalts durchgesetzt. Damit hat er jedenfalls eine stringente und für die Zukunft wichtige Position mit seiner Person verbunden. Das ist aber im Vergleich zu dem, was die Bürger mit zu Guttenberg verbunden haben nur das Kleinklein des politischen Alltags, nicht die große Geste.

Der Züricher „Tagesanzeiger“ nennt zu Guttenberg allerdings einen „Populisten“ und vergleicht ihn mit Haider, Blocher und Silvio Berlusconi.

Oberreuter: Das halte ich, mit Verlaub, für totalen Schwachsinn – und schreiben Sie das ruhig auch. Der Mann ist ein Charismatiker, kein Populist, das ist etwas völlig anderes, auch wenn Populisten mitunter Charismatiker sein können. Letztere ziehen Zuneigung auf sich, werden zur Projektionsfläche für Erwartungen und Hoffnungen – die übrigens allerdings auch enttäuscht werden können. Wobei man sich als Beobachter wundert, daß das Charisma oft selbst dann noch wirkt, wenn die Erwartungen tatsächlich enttäuscht worden sind. Es gibt aber von zu Guttenberg nicht ein einziges – im engen Sinn des Wortes – populistisches Argument. Er hat nie dem Volk nach dem Munde geredet, er hat sich auch nie darin hervorgetan, die eher populistischen Argumente der Partei – wenn ich etwa an die Zuwanderungsdiskussion denke – zu übernehmen. Sie werden sich schwertun, da von ihm eine entsprechende Äußerung zu finden. Nein, zu Guttenberg hat genau das Gegenteil dessen getan, was ein Populist tut, er hat gerade nicht die politischen, sondern die unpolitischen Sehnsüchte des Volkes befriedigt.

Ist also nicht der Populist – wie wir immer gewarnt werden – der Typus des Erfolgspolitikers der Zukunft, sondern der „etablierte Anti-Etablierte“ – wie Guttenberg, Gauck, Köhler oder vor ihnen Joschka Fischer?

Oberreuter: Was meist viel zu wenig beachtet wird, sind die apolitischen Sehnsüchte gegenüber der Politik. Das alte deutsche Vorurteil, das Goethe schon im „Faust“ so schön zum Ausdruck gebracht hat mit der Bemerkung in Auerbachs Keller: „Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied!“ Politikverdrossenheit gibt es in Deutschland nämlich tatsächlich schon seit Jahrhunderten, im Grunde seitdem es Politik gibt.

Der Charismatiker galt dem politischen System Bundesrepublik von Anfang an als Schreckgespenst. Eigentlich zielt es sogar wesentlich darauf ab, ihn zu vermeiden. Haben wir also einen Tabubruch erlebt?

Oberreuter: Charisma kann negativ, aber eben auch positiv wirken. Aber wenn wir in die Gegenwart blicken, dann ist unser Problem eher die glattgeschliffene Nachwuchsklientel der Parteien, die schon auf unterster Ebene lernt, opportunistisch zu argumentieren und möglichst alles zu vermeiden, was ihm irgendwie beim innerparteilichen Vormarsch – und sei das Ziel auch nur das Ergattern eines Ortsvorsitzes – schaden könnte. An diesem Personal haben wir einen Überdruß und der ist auch ziemlich gesund.

Schon am Abend von zu Guttenbergs Rücktritt haben Sie im Bayerischen Fernsehen seine Rückkehr prophezeit.

Oberreuter: Ich rechne damit, daß er 2013 in seinem Wahlkreis wieder antritt und da dann auch die Mehrheit bekommt, damit wäre er wieder im Spiel: neues Mandat, neue Legitimation, neuer Angriff auf Führungsämter.

 

Prof. Dr. Heinrich Oberreuter, ist Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und bekannt als Gastkommentator in Presse, Funk und Fernsehen. Regelmäßig kommentierte er zeitweilig im Bayerischen Rundfunk und im Rheinischen Merkur. Außerdem lehrte der 1942 geborene Breslauer Politikwissenschaft an der Universität Passau, war Gastdozent am renommierten Dartmouth College in den USA und ist Mitherausgeber der Zeitschrift für Politik. Die Landtage von Bayern, Sachsen und Rheinland-Pfalz beriefen ihn als Sachverständigen in Enquete-Kommissionen und die sächsische Landesregierung als Gründungsdekan der Technischen Universität Dresden. In seinen Publikationen beschäftigte sich das CSU-Mitglied unter anderem mit dem Einfluß von Medien und Meinungen auf die Parteien, etwa in seiner Studie „Stimmungsdemokratie. Strömungen im politischen Bewußtsein“ (Edition Interfrom).

 www.apb-tutzing.de

Foto: Transparent auf der Demonstration der Facebook-Gruppe „Wir wollen Guttenberg zurück“ am Samstag in Berlin, unter die sich auch Guttenberg-Kritiker mit satirischen Losungen mischten: „Für seinen Aufstieg waren nie politische Inhalte verantwortlich, sondern die unpolitischen Sehnsüchte und Erwartungen des Volkes, die er befriedigte“

 

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