© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Sehnsucht nach dem „guten König“
Libyen: Die westliche Suche nach Ansprechpartnern unter den Rebellen gestaltet sich schwierig / Uneinigkeit über Eingriffspläne
Günther Deschner

Kontosperrungen, Reisebeschränkungen und andere Sanktionen, außerdem der Ausschluß aus dem Menschenrechtsrat der Uno – damit sind beinahe alle diplomatischen Möglichkeiten gegen das Regime von Muammar al-Gaddafi ausgeschöpft. Auch die Kontaktaufnahme zu den Anführern der Aufstandsbewegung ist schwierig. Deren interne Machtkämpfe sind nicht entschieden, eine Führung noch nicht erkennbar. Als mögliche Partner bieten sich Anführer der libyschen Stammesverbände an, die bis heute große Bedeutung besitzen. Die Briten haben kürzlich mit Geheimagenten Einfluß gewinnen wollen, doch ohne Erfolg.

Für Berlin ist die Suche nach neuen Ansprechpartnern sogar noch schwieriger. Die Netzwerke, auf die Deutschland in vergleichbaren Fällen zurückgreifen kann – ein Goethe-Institut oder Büros der parteinahen Stiftungen, die Kontakte zu den Eliten jenseits der amtierenden Machthaber herstellen –, gibt es in Tripolis nicht. Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung, die mehrfach vergeblich versuchte, sich in Libyen zu etablieren, brachte es auf den Punkt: „Vor uns liegt kein Acker, den es neu zu bestellen gilt. Hier ist Wüste, libysche Wüste.“

De facto wissen Politik und Medien so gut wie nichts über die Rebellen. Wer warum auf welcher Seite steht, ist weitgehend unklar. Zu den Unwägbarkeiten der Aufstandsbewegung gehört ihre politische Uneinigkeit – von „Demokraten“ über arabische Sozialisten bis hin zu islamistischen Organisationen reicht der Bogen. Allein das verbindet die Aufständischen, daß sie den Diktator loswerden wollen. Ein  diffus fragmentierter „Nationalrat“ hofft auf „internationale Hilfe“ unter dem Schirm der UNO.

Ursprünglich wollten die Rebellen „keine Einmischung von außen“. Inzwischen dämmert ihnen aber, wie ungleich die Machtgewichte verteilt sind. Daß der „Bruder Führer“ seine ins Wanken geratene Herrschaft auch mit dem Einsatz von Kampfflugzeugen zu stabilisieren sucht, braucht aber niemanden zu überraschen. In keinem anderen Truppenteil der libyschen Armee dienen mehr Angehörige seines Stamms der Gaddaffa als in der Luftwaffe.

Die Rebellen kontrollieren am ehesten den Osten Libyens. Dort ist häufig die rotschwarzgrüne Flagge des früheren Königs Idris zu sehen, die für die drei Teilgebiete steht: für Tripolitanien mit der Hauptstadt Tripolis, die Cyrenaika mit Bengasi und für Fezzan, die Wüstengebiete im Süden. Halbmond und Stern repräsentieren die Cyrenaika und wurden auch vom staatsgründenden Sanussi-Orden verwendet, dessen Oberhaupt als Idris I. nach der Unabhängigkeit 1951 König wurde. Der „gute König von Libyen“ verstand es, religiöse und weltliche Interessen zu vereinen und die Gegensätze der Stammesgesellschaft auszugleichen – bis er 1969 von Oberst Gaddafi weggeputscht wurde.

Als im Februar die Unruhen und Aufstände gegen den „Revolutionsführer“ begannen, setzte Gaddafi auf die Uneinigkeit der politisch unerfahrenen Opposition. Auch wenn eine Lagebeurteilung von außen schwierig ist, scheint sich inzwischen zu bestätigen, daß das Ringen zwischen den Pro- und den Anti-Gaddafi-Kräften noch lange dauern und daß es – weil Gaddafi auch die Luftwaffe einsetzt – besonders verlustreich werden kann.

Der Ruf nach einer Flugverbotszone, in der man libysche Kampfjets „am Boden“ halten kann, wird deswegen immer lauter. Realpolitisch müssen dafür jedoch politischer Wille und militärische Fähigkeiten, ein genau definiertes Operationsziel und vor allem eine „Exit-Strategie“ gegeben sein. In allen Punkten stoßen Eingriffspläne für Libyen auf Schwierigkeiten. Bereits politisch besteht keine Einigkeit: Die USA und einige ihrer Alliierten halten sich die Option offen und bereiten sich darauf vor. Rußland, China, Indien und die arabischen Staaten sind dagegen. Ein entsprechender Beschluß des UN-Sicherheitsrates wird so kaum zustande kommen.

Ein einseitiges Vorgehen der USA oder der Nato dagegen wäre militärisch machbar, aber politisch riskant. Eine Flugverbotszone läßt sich nur dann einrichten, wenn vorher die Luftabwehrraketen und Kasernen zerstört werden. Wer das Land bombardiert, könnte schnell zum Einsatz von Bodentruppen gezwungen sein. Damit drohte die Verwicklung in einen weiteren Krieg in der islamischen Welt.

Ein solcher Einsatz ist in Amerika – das der militärische Spielmacher wäre – politisch kaum durchsetzbar. Die USA sind fast pleite und ohnehin schon in das blutige und teure Himmelfahrtskommando in Afghanistan verwickelt, und Libyen ist nun wirklich nicht ihr Hinterhof. Eine abscheuliche Greueltat von seiten Gaddafis, der Einsatz von Chemiewaffen etwa, oder eine drohende Übernahme des Landes durch Islamisten mögen die Lagebeurteilung der Amerikaner noch ändern, vorerst aber stehen die Zeichen auf Zurückhaltung – auch weil überhaupt nicht klar ist, wie schnell die Vereinigten Staaten wieder aus einer Besatzerrolle herauskommen würden.

Ausgeliefert dazwischen oder flüchtend oder Partei ergreifend, die Betroffenen – und es wäre nicht überraschend, wenn das Ergebnis des innerlibyschen Kräftemessens vorerst offen bliebe. Wer nach dem letzten Schuß dann Freiheitskämpfer oder Terrorist, Patriot oder Verbrecher genannt wird, das entscheidet erst der Ausgang des Konflikts.

Foto: Anti-Gaddafi-Demonstration in Bengasi: „Sieg oder Tod“

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