© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Wagner trifft Verdi
Oper: „Die Heimkehr des Verbannten“ von Otto Nicolai in Chemnitz
Sebastian Hennig

Otto Nicolai ist dem allgemeinen Opernpublikum bekannt durch seine komische Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“. Die etwas Kundigeren wissen zudem, daß er als Kapellmeister in Wien die dortigen Philharmoniker begründete. Seine Opernuraufführungen in Turin, Genua und Mailand waren allenfalls Fußnoten der Musikhistorie. Das änderte sich rasch, als die Oper Chemnitz 2008 in Zusammenarbeit mit dem Berliner Musikwissenschaftler Michael Wittmann „Il Templario“ auf die Bühne brachte. Zum 200. Jubiläum des Komponisten wurde Nicolais Belcanto-Meisterwerk dann schon als gleichrangig mit den „lustigen Weibern“ geführt. Für den Generalmusikdirektor der Robert-Schumann-Philharmonie, Frank Beermann, ein Anreiz, die Wiederbelebung lebensfähiger Opernliteratur in dieser Richtung fortzusetzen. Kürzlich erlebte nun Otto Nicolais „Die Heimkehr des Verbannten“ eine triumphale Auferstehung.

Die Handlung spielt im England der Rosenkriege und wurde vom Regisseur Philipp Kochheim in der Glamourwelt der Gegenwart angesiedelt. Eine Theaterpantomime während der Ouvertüre zeigt bereits, daß die Verlegung des Sehnsuchtsziels aus einer chronologischen in eine vertikale Distanz gut anwendbar ist auf die Spannungsverhältnisse dieser Handlung.

Es sind nur wenige Aktionen des Chemnitzer Bühnengeschehens, die etwas unangemessen wirken innerhalb einer prinzipiell schlüssigen Konzeption. So versteht sich doch die plutokratische Oberschicht selbst gerne als Erbe der alten Aristokratie, wo sie sich nicht gerade direkt überschneidet. Und die Figur der Leonore in Seidenkleid und Kaschmirpullover ist mehr auf die zeitgenössische Situation der Frauen beziehbar als die viel strapazierten Allegorien von Medea und Kassandra.

Die Partitur stellt gewaltige Ansprüche an die Flexibilität der Sänger. Der erste Akt hebt an mit funkelnden Belcanto-Arien voller halsbrecherischer Koloraturen. Julia Bauer meistert die Rolle bravourös und fesselt durch ihre dramatische Präsenz. Es ist fast unangemessen, hier einen Sänger hervorzuheben. Die Aufführung ist nicht nur eine Sternstunde der Musikdramatik, sie wartet auf mit unmittelbar sinnlich begründeten Einsichten in die Natur dieses Genres. Hier wird Wagner mit Verdi ausgesöhnt.

Der Ruhm der Schulen hat in der Sangeskunst eine raffinierte Einseitigkeit hervorgebracht, die nicht den Voraussetzungen entspricht, aus denen diese Werke erwuchsen. Die Heterogenität der Musik ist ihre Stärke. Die artifizielle Kunst des Beginns erinnert zunächst an den geschnitzten Bogen der Lessing-Fabel, der beim Probeschuß zerbricht, weil sein Zierat dem Zweck widerspricht. Aber die Musiksprache wandelt sich mit der dramatischen Zuspitzung der Handlung. Als Lord Arthur Norton (Bernhard Berchtold), der verschollene erste Mann Leonores, unerkannt in seiner Person, aber unverkennbar als politischer Antipode von Graf Edmund (Hans Christoph Begemann), dem Bräutigam der vermuteten Witwe Leonore, auftaucht, wogt die Musik in aufreizenden weiten Schwüngen wie in Wagners „Tannhäuser“. Leonore stirbt bereits in dem wilden Aufschrei, der ihr entfährt, als sie Arthur das erste Mal wieder allein gegenübersteht.

Nicht ganz fern liegt angesichts der Geschichte das Schicksal der europäischen Bürgerkriegsheimkehrer der späten vierziger Jahre und ihrer Frauen, die der Krieg zur Beute machte und denen die Bitterkeit des Nachkriegs wenig Alternativen ließ. Viele einzelne Tragödien, von denen nicht abzusehen ist, wie weit sie noch heute in die Familien der Nachfahren hineinstören. Allein mit aufrichtiger Liebe ist hier nichts getan, das hat Leonore längst erkannt. Während die Männer ihr ritterliches Kikeriki ertönen lassen, läßt ihr das eingenommene Gift schon das Blut in den Adern frieren. Auch ihr Verzicht auf die beiden gleich geliebten Männer und das Leben ist nicht nur Ausflucht, sondern eine politische Handlung, mit der sie Versöhnung stiften will.

Das letzte Bühnenbild zeigt allerdings eine Welt, die taub ist für diese Botschaft, so lange, bis sie selbst zerschlagen ist: unsere zutiefst unritterliche Welt. Die sphärische Süße der Abschieds-arie rührt die letzten Geheimnisse des menschlichen Seins an.

Große Oper soll große Gefühle erregen, die nicht peinlich sind. Daß das hier gelingt, ist auch der deutschen Textfassung von Siegfried Kapper zu danken. Der junge Dichter übertrug das Libretto von Gaetano Rossi für Otto Nicolais Wiener Umarbeitung seiner Oper „Il Procritto“. In der umgearbeiteten deutschen Fassung, deren originaler Klavierauszug der aktuellen Aufführung zugrunde liegt, erlebte das Stück den verdienten Erfolg und wurde vierzig Mal nacheinander aufgeführt. Ein begeistertes Chemnitzer Publikum vermochte das nachzuvollziehen. Diese Musik und ihre Umsetzung ist spannend bis in die letzte Note.

Die Gesamteinspielung von „Die Heimkehr des Verbannten“ wird bei cpo auf CD erscheinen.

Die nächsten Vorstellungen im Opernhaus Chemnitz, Theaterplatz 2 , finden statt am 17. und 24. April sowie am 10. Mai. Telefon:  03 71 / 69 69 - 5

 www.theater-chemnitz.de

Foto: Szene mit Julia Bauer als Leonore: Funkelnde Belcanto-Arien mit halsbrecherischen Koloraturen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen