© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/11 11. März 2011

Lockerungsübungen
Unabhängigkeit lohnt sich nicht
Karl Heinzen

Ab dem 31. März wird die zwischen Mosambik und Madagaskar gelegene Insel Mayotte als 101. Département zur Republik Frankreich gehören. Damit wird dem Willen der Einwohner Rechnung getragen, den diese vor zwei Jahren in einem Referendum zum Ausdruck gebracht haben. Auch die Europäische Union darf sich mit diesem Schritt um ein „extremes Randgebiet“ reicher schätzen.

Mag Mayotte mit seinen 374 Quadratkilometern Fläche und seinen 186.450 Bewohnern auch nicht ins Gewicht fallen, so ist dieser Vorgang doch von grundsätzlicher Relevanz. Zum einen führt er vor Augen, daß der Mißbrauch des Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht unvermeidbar ist. Nicht jede Population zieht daraus den Schluß, die Unabhängigkeit anzustreben. Das Bedürfnis, sich abzusondern und nur mit seinesgleichen in einem Staatsverband zusammenzuleben, ist gar nicht so ausgeprägt, wie manche noch immer glauben. Den meisten Menschen sind universale Werte weitaus wichtiger, und daher ist es nur folgerichtig, wenn sie den Anschluß genau an das Land suchen, in dem die Wiege der Menschenrechte stand.

Der verdeckte Kolonialismus, der heute betrieben wird, kann den echten nicht ersetzen.

Zum anderen zeigt das Beispiel Mayotte, daß es sich auch in der Weltpolitik auszahlt, nicht jede Mode mitzumachen. Im Jahr 1974 hatten die Einwohner die Chance, in die Unabhängigkeit entlassen zu werden. Während die übrigen Inseln des Archipels diesen Weg gingen und heute unter dem Namen Komoren den Anspruch erheben, ein veritabler Staat zu sein, hielt Mayotte Paris die Treue. Die Anhänglichkeit hat sich gelohnt. Das Mutterland stellt seiner Insel jährlich 635 Millionen Euro zur Verfügung und ermöglicht den Einwohnern damit einen Lebensstandard, der zehnmal so hoch ist wie auf den selbständigen Komoren.

Diese Erfahrungswerte standen zwar nicht zur Verfügung, als vor knapp einem halben Jahrhundert eine Welle der Dekolonialisierung die Welt erschütterte. Aber auch damals gab es schon warnende Stimmen, die darauf hinwiesen, welche Wohlstandschancen den betroffenen Menschen fortan entgingen. Der verdeckte Kolonialismus, der heute betrieben wird, kann den echten nicht ersetzen, er ist komplizierter und kostspieliger. Und vor allem bürdet er den Menschen in den vermeintlich unabhängigen Staaten Lasten auf, die eigentlich von Kolonialherren zu tragen wären.

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