© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Der Moloch in der Krise
Die Bürokratie der Europäischen Union ist zu fett, zu teuer und außenpolitisch ineffektiv
Günther Deschner

Bürokratie, Beamtenschwemme, Bürgerferne und Bevormundung: Kein Tag vergeht, an dem man sich nicht über „die in Brüssel“ ärgern müßte, über Anmaßung und Inkompetenz des supranationalen Molochs. Doch den Freitag vergangener Woche kann man sich im Kalender besonders dick anstreichen, jenen 11. März, an dem der Zirkus der Europäischen Union (EU) ein besonderes Schauspiel in gleich mehreren Akten bot – finanzpolitisch, außenpolitisch und in der Präsentation seines politischen Personals.

Erster Akt oder „Le Boche payera – bezahlen wird der Deutsche“. In einer hitzigen Nachtsitzung haben die Staats- und Regierungschefs die Währungsunion endgültig in eine Beistandsunion verwandelt. Der bisherige „Rettungsschirm“ soll die Kreditkapazität bis 2013 von 250 auf 440 Milliarden Euro erhöhen. Dafür bereits muß Deutschland seine Bürgschaften erhöhen oder Milliarden hinterlegen. Experten gehen davon aus, daß Berlin für bis zu 250 statt der bisher zugesagten 123 Milliarden Euro garantieren muß. Der „dauerhafte Rettungsfonds“ soll ab Mai 2013 bis zu 500 Milliarden Euro verleihen können. Dafür müßten die Bundesgarantien dann noch einmal steigen.

Da niemand im Ernst daran glaubt, daß die Schuldenstaaten ihre Kredite – wenn überhaupt – vollends und pünktlich bedienen können, werden auf die Deutschen also weitere Milliardentribute zukommen. Lakonisch kommentierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Brüsseler Verhandlungsmühle habe „ein weiteres Stabilitätsversprechen der Kanzlerin zerrieben“.

Dazu paßt, daß Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) – protokollarisch der zweite Mann im Staate – der  Kanzlerin am Vortag des Gipfels vorwarf, sie mißachte in ihrer Europapolitik die Rechte des Parlaments und nehme nicht genügend auf die „unmißverständliche Verfassungslage“ Rücksicht. Im Klartext bedeutet Lammerts höfliche Intervention: Den Bundestag können wir auflösen, wenn er im Nachgang nur das abnicken darf, was in Brüssel ausgekungelt worden ist.

Zweiter Akt oder „Die Orientierungslosigkeit der EU in diesen Tagen“. Seit Wochen brodeln in Nordafrika revolutionäre Entwicklungen, deren Ausgang auch Europa betrifft. Die Region von Marokko über Tunesien und Libyen bis Ägypten ist das Gegenufer unseres Kontinents, Europas „weicher Unterleib“, wie es Winston Churchill einst formulierte. Alles ist dort im Fluß – und die EU wirkt ratlos, ja kopflos. Keine klare Äußerung, keine Initiative aus Brüssel.

Um so lauter dröhnte Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy: Aus dem hohlen Bauch kündigte er „vernichtende Bombenschläge“ gegen den libyschen Diktator Gaddafi an, und den Nationalen Übergangsrat der Aufständischen erklärte er ex cathedra zur einzig legitimen Vertretung des libyschen Volkes. Es war mehr als peinlich für Berlin, vom wichtigsten Partner in der EU in einer Frage von Frieden oder Krieg so brüskiert zu werden. Statt dessen ließ Paris die alte Entente der Westmächte wieder aufleben und forderte in Brüssel, gemeinsam mit dem britischen Premier David Cameron, die Union müsse schleunigst eine Flugverbotszone einrichten und „gezielte Militärschläge“ androhen.

Mit seinem Auftritt hat der „Zwerg von Paris“ die ganze Union blamabel vorgeführt: Alles Gerede von einer starken Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die von den EU-Spitzen seit Jahren wie eine Monstranz vor sich her getragen wird, und die bereits 1992 im Vertrag von Maastricht als „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ offiziell beschlossen worden war, ist heiße Luft. Wenn es darauf ankommt, braucht sich niemand vor der EU und ihren Truppen zu fürchten.

Man hat so gut wie nichts in der Hand, um Druck auf afrikanische Warlords oder arabische Diktatoren zu machen. Vor bald zwölf Jahren, im Dezember 1999, hat der Europäische Rat in Helsinki hinsichtlich militärischer Fähigkeiten das Ziel festgelegt, 60.000 Soldaten bereitzustellen, die binnen 60 Tagen einsatzbereit sind. 2003 hätte es soweit sein sollen. Passiert ist fast nichts. Übriggeblieben ist eine sogenannte „Battle Group“, zwei Bataillone, von denen im Turnus jeweils eines von den Mitgliedstaaten für mögliche Kriseneinsätze eingeplant ist. Im Einsatz waren diese schnellen Truppen allerdings noch nie.

Nun ist eine solche Krise da – und die Politik der Brüsseler Mammutbürokratie steht da wie der sprichwörtliche Ochs vorm Scheunentor. Tatsache ist, daß die EU-Politik für den wirtschafts-, sicherheits- und stabilitätspolitisch für Europa wichtigen Mittelmeerraum gescheitert ist – allein deswegen, weil es in den nun beinahe 20 Jahren der angeblich „Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ so gut wie keine europäische Außenpolitik für Nordafrika gab. Bei 27 Kommissaren, 56 Generaldirektoren und rund 40.000 Beschäftigten kann das Versäumnis kaum an großem Personalmangel gelegen haben, eher vielleicht an Ineffizienz und Inkompetenz weiter Bereiche der  Euro-Bürokratie.  

Die Nordafrikapolitik wurde weitgehend Paris überlassen. Deutschland hat das Primat Frankreichs stets anerkannt. In der Überraschung über die Eruptionen in Nordafrika enthüllt sich neben der Sorglosigkeit der EU-Gewaltigen also auch ein Scheitern der französischen Afrikapolitik, die vor allem darin bestand, regionale Autokraten zu unterstützen, um Geschäfte zu machen und sich eigenen Einfluß zu sichern.

Es mag sein, daß Sarkozy mit seinem Säbelgerassel bloß davon ablenken möchte, daß vor allem Paris lukrative Geschäfte, auch Waffengeschäfte, mit dem nun so gescholtenen Alleinherrscher Gaddafi gemacht hat. Aber davon will Brüssel vielleicht gar nicht soviel wissen. Das nächste Glühlampenverbot wartet bestimmt.

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