© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Totalitäre Genossenschaft
Sozialistische Internationale: Die Solidarität mit Despoten aus aller Welt stellt die Glaubwürdigkeit der Sozialdemokratie in Frage
Ronald Berthold

Manchmal kommt ein Bekenntnis zu spät. Und manchmal scheint es derart kalkuliert, daß die Glaubwürdigkeit Schaden nimmt. Wer sich über Jahrzehnte mit Diktatoren verbrüdert, der kommt in Erklärungsnot, wenn er sich plötzlich von ihnen distanziert. Anfang März griff Sigmar Gabriel in der Frankfurter Rundschau zur Feder, um sich von politischen Verwandten zu trennen, mit denen er und seine Vorgänger lange Zeit glücklich liiert waren. Der SPD-Vorsitzende bemängelte plötzlich und sehr zaghaft die Zusammensetzung der Sozialistischen Internationalen (SI), der seine Partei seit der Gründung angehört.

Denn nicht nur die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten sitzen in der globalen Organisation, sondern auch jene Parteien, gegen die sich seit einem Vierteljahr der Volkszorn der Nordafrikaner regt. Der Rassemblement constitutionnel démocratique (RCD) des gestürzten tunesischen Diktators Ben Ali gehört genauso zu den internationalen Schwesterparteien von SPD und SPÖ wie die Nationaldemokratische Partei (NDP) des soeben in die Wüste geschickten ägyptischen Despoten Hosni Mubarak.

Es war Willy Brandt, der den RCD den Weg in die SI ebnete. Die SPD-Ikone führte die Sozialistische Internationale von 1976 bis zu seinem Tode 16 Jahre später. Ausgerechnet 1989, als sich die Menschen in Mittel- und Osteuropa gegen die kommunistischen Diktaturen auflehnten und diese letztlich beseitigten, holte Brandt den RCD in den sozialdemokratischen Klub.

Schon damals bestand keinerlei Zweifel an einer fehlenden demokratischen Legitimation. Ben Ali war als Diktator bekannt, aber merkwürdigerweise wohlgelitten. Während im Süden des Kontinents das Apartheid-Regime international geächtet und sanktioniert wurde, erfreute sich der nordafrikanische Despot allgemeiner Anerkennung, die Brandt mit seinem Schritt erheblich befördert hatte.   

Daß die SPD ein durchaus gespaltenes Verhältnis zu demokratischen Werten demonstrieren kann, zeigte sich zur gleichen Zeit auch in Deutschland. Vermeintliche sozialistische Solidarität ging vor Menschenrechten und Freiheit. Als sich im Herbst 1989 die Sozialdemokratische Partei der DDR (SDP) gründete, ließ der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, die Maske fallen. Man brauche diese Gruppierung nicht, weil die SED genug sozialdemokratische Elemente in sich trage, richtete er den Bürgerrechtlern aus.

Momper hielt an der jahrzehntelang betriebenen Kumpanei mit dem Honecker-Regime auch dann noch fest, als die Menschen zu Zehntausenden aus dem sozialistischen Paradies flüchteten und Hunderttausende für Freiheit auf die Straße gingen. Gleichzeitig stellte Momper der deutschen Diktatur mit seinem Bekenntnis einen Persilschein aus und stieß gleichzeitig Dissidenten, die sich in Unfreiheit zur Sozialdemokratie bekannten, gehörig vor den Kopf. Daß andere führende Genossen sich von Mompers skandalösen Äußerungen distanziert hätten, ist nicht bekannt.

Die seinerzeitigen Entgleisungen des prominenten SPD-Mannes sind in Vergessenheit geraten, weil die Geschichte und die Freiheitsliebe der Deutschen jenseits der Mauer sie überholten und die SPD zu einer neuen Strategie zwangen. Die von ihr nicht mit ungeteilter Freude begleitete Wiedervereinigung Deutschlands forderte von der SPD einen Partner in der DDR, wollte sie im einigen Deutschland eine realistische Machtoption behalten. Also wandten sich Momper und Co. doch noch der SDP zu.

Dieser Rückblick ist notwendig, um zu verstehen, wie eine Partei tickt, die keine Probleme damit hat, die Träger despotischer Regimes in aller Welt via SI zu Schwesterparteien zu erklären. Ihr Vorteil: Sie wird dabei gedeckt von einer journalistischen Internationalen, die die Fraternisierung mit linken Diktatoren nicht skandalisieren will und wird. Der Stern feierte den Wiedervereinigungs-gegner Momper damals in seiner Schlagzeile als „Liebling Kreuzberg“ und stellte ihm den Einheitskanzler Helmut Kohl als „Ekel Oggersheim“ gegenüber.

Nicht viel anders verhält es sich mit der heutigen Situation. Ist im Zusammenhang mit den Umwälzungen und dem Aufbegehren der Menschen im Maghreb irgendeine Kritik an der SPD laut geworden? Stattdessen standen Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der verstorbene Jörg Haider am Pranger.

Daß die nicaraguanischen Sandinisten sich gleichzeitig mit Libyens Schlächter Muammar al-Gaddafi solidarisierten, nahmen die Journalisten allenfalls amüsiert zur Kenntnis. Er und die Sandinistische Befreiungsfront „begleiten Sie in diesen Schlachten“, schrieb der Liebling der westlichen Revolutionsromantiker, Sandinistenführer Daniel Ortega, an Gaddafi. Kritik von Sigmar Gabriel an den Sandinisten suchte man in seinem Zeitungsbeitrag vergeblich. Warum auch? Ortega sitzt mit seiner Partei schließlich in der Sozialistischen Internationalen.

Vor etwas mehr als einem Jahr ließ Gabriel noch stolz verbreiten, die SI habe ihn zu ihrem Vizepräsidenten gewählt. Überhaupt entpuppt sich die vermeintliche Distanzierung von den nordafrikanischen Genossen eher als ein Schönlügen und eine Schuldzuweisung in Richtung politische Gegner. Dreist schreibt Gabriel, „daß man diesen Wunsch (nach Freiheit; Anm. d. Red.) nicht aus Europa oder den USA heraus ‘exportieren’ muß – und schon gar nicht mit Waffengewalt. Die Rechtfertigungen derer, die den als ‘nicht westlich’ identifizierten Völkern die Fähigkeit absprachen, demokratische und freie Gesellschaften zu entwickeln, haben sich als zynisch, arrogant und nicht selten imperialen Ursprungs entlarvt.“

Gabriel, dessen Partei sich nie an den totalitären Genossen im Maghreb störte, dreht nun plötzlich den Spieß um und kritisiert, daß die Bundesregierung mit Ägypten und Tunesien Geschäfte gemacht habe. Die „wirtschaftlichen Beziehungen zu Diktaturen“ dürften „nie wieder das Maß an Normalität erreichen, das sie in Nordafrika und anderswo bereits hatten“, belehrt er. Kurz danach folgt sogar das Wort „Skandal“.

Von echter Selbstkritik, die nun wirklich angebracht wäre, kann in dem Beitrag des SPD-Vorsitzenden keine Rede sein. Noch skandalöser ist jedoch, daß die Öffentlichkeit dem SPD-Chef dieses heuchlerische Verdrehen der Wahrheit durchgehen läßt.

Auffallend ist nicht nur Gabriels späte, wenn auch halbherzige Distanzierung von Ben Ali und Hosni Mubarak, sondern auch die Reaktion der Sozialistischen Internationalen. Erst als die Völker die Diktatoren und deren Parteien hinwegfegten, erkannte auch die SI, daß Nähe jetzt wohl eher schädlich sein könnte. Merke: Sozialistische Diktaturen werden erst gebrandmarkt, wenn sie durch Volksaufstände ausgelöscht werden.

So beendete die SI die jahrzehntelange Verbrüderung schlagartig. Die Genossen in Nordafrika hatten verloren und dadurch nun keine Bedeutung mehr. Mit einem öffentlichkeitswirksamen Schreiben schloß SI-Präsident Georgos A. Papandreou, der gleichzeitig griechischer Ministerpräsident ist, die tunesische und ägyptische Partei aus. Daß dies rechtlich völlig unwirksam ist, spielt im Linkspopulismus keine Rolle. Laut eigener Satzung kann nur der SI-Kongreß, nicht aber der Präsident Parteien ausschließen. Spiegelt sich hier etwa ein demokratisches Verhalten, das nicht wenigen SI-Mitgliedsparteien eigen ist?

Denn zu den Schwesterparteien der SPD in der SI gehören noch ganz andere Unterdrücker. Neben der SWAPO, die seit Jahren deutschstämmige Namibier drangsaliert, sitzt auch der Front Populaire Ivoirien (FPI) in der Sozialistischen Internationalen. Seit Monaten weigern sich die Genossen der Elfenbeinküste, ihre Wahlniederlage vom 28. November vergangenen Jahres zu akzeptieren und bleiben mit Gewalt an der Macht. Klammheimlich läßt die SI jetzt auch deren Mitgliedschaft ruhen. 

Der Front Populaire hat mehrere hundert Oppositionelle umbringen lassen und 370.000 Menschen aus ihren Häusern vertrieben. Neun kritische Zeitungen mußten schließen. „Wir haben die Drohungen und die Verfolgung unserer Journalisten nicht mehr ausgehalten“, sagte ein Verlagssprecher. Inzwischen tobt in dem westafrikanischen Land ein Bürgerkrieg. Die internationale Aufmerksamkeit ist gering, also droht den Genossen von der Elfenbeinküste auch kein Rausschmiß aus der SI.

Im Gegenteil: Die SI-Mitgliedsparteien aus Angola, MPLA, und Südafrika, ANC, hetzen gegen die Wahlsieger und stützen die abgewählten ivorischen Genossen. Diese beiden auf dem schwarzen Kontinent mächtigsten Organisationen verhindern massiv ein Eingreifen der Afrikanischen Union gegen das Terrorregime der Elfenbeinküste. ANC und MPLA wenden sich gegen das auch von den Vereinten Nationen festgestellte Ergebnis der Wahlen, ohne daß es jemanden zu stören scheint. Schon gar nicht die europäischen Schwesterparteien.

Das ist das Demokratieverständnis der Sozialistischen Internationalen. Und mittendrin rekelt sich unsere gute alte Tante SPD. Während ein demokratisches Land wie Österreich nach der Abwahl der SPÖ und der Bildung der ÖVP/FPÖ-Regierung auf Treiben der europäischen Sozialdemokraten von der übrigen EU boykottiert wurde, genießen die diktatorischen Genossen weltweit Narren- und Terrorfreiheit. Sie gehören ja schließlich alle zur großen Familie der Sozialistischen Internationalen.

Wie singen die Sozialdemokraten auf ihren Parteitagen immer so schön? „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“. Vor dem Hintergrund der Sozialistischen Internationalen sollte man sich den Text noch einmal genau anschauen. Er scheint ziemlich hintersinnig zu sein.

 

Sozialistische Internationale

Die Sozialistische Internationale (SI) in ihrer jetzigen Form existiert seit Juli 1951. In Frankfurt/Main begründeten die Vertreter sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien unter Vorsitz von Erich Ollenhauer (SPD) die „Zweite Internationale“ neu. Letztere existierte bereits zwischen 1889 und 1914 und war der Nachfolger der von Karl Marx inspirierten „Internationalen Arbeiterassoziation“ (1864 –1876). Zur Zeit besteht die SI aus 162 Parteien aus allen Erdteilen. Präsident ist der griechische Sozialist Giorgos A. Papandreou.

Blieb die Zusammensetzung der Organisation über Jahre konstant – Hauptziel der SI war der Kampf für soziale Gerechtigkeit und nicht die Demokratieschulung ihrer Mitglieder –, suspendierte die SI, getrieben von den Entwicklungen in Nordafrika, Tunesiens Regierungspartei „Konstitutionelle Demokratische Sammlung“ (17. Januar), Hosni Mubaraks „Nationaldemokratische Partei“  (31. Januar) sowie aktuell die „Ivorische Volksfront – Front Populaire Ivoirien“ (FPI) der Elfenbeinküste.

Foto: Noch im Juli 2004 herzte Kanzler Gerhard Schröder Hosni Mubarak: Wenige Jahre später gilt der sozialistische Bruder als Persona non grata

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