© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Scotti, das Hochbeamen muß warten
William Shatner alias Captain Kirk wird achtzig – und glänzt in der Rolle des Rechtsanwalts Denny Crane
Ronald Gläser

Als ein Verrückter Geiseln in der Anwaltskanzlei von „Crane, Pool und Schmidt“ nimmt, holt Firmenboß Denny Crane kurzentschlossen seine Flinte heraus und brüllt: „Ich war bei den Marines!“ Mit seiner Hilfe wird der Geiselnehmer überwältigt.

Es sind Szenen wie diese aus der Anwaltsserie Boston Legal, in denen William Shatner alias Denny Crane zur Höchstform aufläuft. Die Rolle als Bostoner Rechtsanwalt mit einem Hang zu unkonventionellen Maßnahmen ist wohl das letzte große Engagement von Shatner, die Krönung seiner Schauspielerkarriere. Er ist seit seiner Rolle als Captain Kirk, Kommandant der USS Enterprise, weltberühmt. Doch reich wurde er damit nicht. Als die Serie abgedreht war, lebte er noch immer in einem Wohnwagen.

Hochgebeamt in die Sphäre der reichen Hollywoodstars wurde er erst durch seine Arbeit als Werbe-Ikone. Ein Vertrag mit einer Internetseite brachte ihm den finanziellen Durchbruch. Sein Vermögen wird auf 600 Millionen Dollar geschätzt.

William Shatner, am 22. März 1931 in Montreal geboren, ist ein Abkömmling jüdischer Emigranten aus Osteu­ropa. Sein Großvater hieß vor seiner Naturalisierung in der Neuen Welt Wolf Schattner und stammt aus der heutigen Ukraine. Enkel William arbeitete bereits als Schüler für den kanadischen Rundfunk und stand später – nach seinem Studium – auf der Bühne. Seine Filmkarriere begann 1958 mit der Rolle des Alexej Karamasow in „Die Gebrüder Karamasow“. Legendär war Shatners Rolle als Captain James T. Kirk in den ersten drei Staffeln von „Raumschiff Enterprise“ und in sieben „Star Trek“-Kinofilmen zwischen 1979 und 1994. Eine Gastrolle im neuen, zwölften „Star Trek“-Film (geplanter Kinostart: Juni 2012) soll er dankend abgelehnt haben: „Ich wäre sehr daran interessiert, es zu machen, aber ich sehe nicht, wie das möglich sein könnte, und vielleicht haben wir uns auch alle schon weiterentwickelt.“

Tatsächlich hat William Shatner in Denny Crane die Rolle seines Lebens gefunden. „Sie war auf eine bestimmte Weise ein Teil meines Lebens in den letzten Jahren“, sagte Shatner, nachdem die letzte Folge abgedreht war. Für seine Rolle als erzkonservativer Anwalt hat er die Fernsehpreise Emmy und Golden Globe erhalten. „Ich habe bei keiner Rolle mehr Spaß gehabt als Schauspieler.“ Zweifellos hat Shatner die Rolle deswegen so zugesagt, weil er sich so mit ihr identifizieren konnte. Er hat sich selbst gespielt.

In einem Interview mit dem konservativen Moderator Glenn Beck hat Shatner 2008 eine Revolution gefordert, die Amerika zurück an seine verfassungsmäßigen Wurzeln führt. Besser hätten das die Tea-Party-Initiatoren aucn nicht formulieren können. Insgesamt hält Shatner mit seiner Meinung aber hinter dem Berg. Das linksliberale Hollywood kann ein hartes Pflaster sein für diejenigen, die die politische Korrektheit mißachten. Das geht – wenn überhaupt – nur durch die Verkörperung einer humorvollen Charakterfigur wie Al Bundy, Alex Keaton oder eben Denny Crane.

Die Unbekümmertheit, mit der Denny Crane zur Waffe greift oder über Minderheiten redet, verstößt gegen alle Grundsätze der PC. So zückt Denny Crane in einer Folge eine Pistole, um einen unappetitlichen Mandanten loszuwerden, der eine 13jährige vergewaltigt hat. Er schießt ihm ins Knie, um ihn nicht länger vertreten zu müssen und rechtfertigt sich mit Notwehr. Das bringt ihm die Sympathien der Öffentlichkeit und eine Einladung zu Larry King ein, dem legendären CNN-Moderator, der in die Handlung eingebunden wird. Diese selbstverständliche Verquickung einer Geschichte mit der Wirklichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Serie. Immer wieder tritt der schwarze Bürgerrechtler Al Sharpton auf und spielt – Al Sharpton.

Auch das Thema Waffenbesitz ist nicht der Phantasie der Drehbuchautoren entsprungen, sondern hochaktuell. Ebenso wie Abtreibung, Arbeitsnehmerrechte oder die Rolle von Fox News. In der Folge „Auf Eis gelegt“ vertritt die Kanzlei erfolgreich einen Jungen, der in seiner Schule diesen konservativen Nachrichtensender nicht sehen darf, weil der linke Schulleiter ihn zensiert. Der Sender ABC hat den „Boston Legal“-Produzenten die Nennung des Namens Fox News untersagt. Die Produzenten haben daraufhin die Kritik an Zensur von Seriendrehbüchern ins Drehbuch aufgenommen. Mehr Vermengung von Fiktion und Realität geht nicht.

Und mehr Verstöße gegen die politische Korrektheit auch nicht. Denny Crane nimmt kein Blatt vor den Mund und sagt Dinge, die sich viele Normalbürger kaum zu denken trauen. Als sich in „Unter Beschuß“ ein neuer Mandant vorstellt, der nicht mehr als Weihnachtsmann arbeiten darf, weil er Transvestit ist, läßt Crane den Mandanten seine ganze Ablehnung spüren. Mandant: „Ich laufe manchmal in Frauenkleidern herum, aber nicht aus sexuellen Gründen, sondern weil ich mich darin wohlfühle.“ Crane: „Also mit anderen Worten: Sie sind krank.“ Er gibt den Fall an einen Kollegen ab, weil er einen „psychopathischen Transvestiten“ nicht vertreten mag. Indem er den Fall an seinen besten Freund, den ebenso brillanten wie zynischen Anwalt und Frauenheld Alan Shore überträgt, stellt er gleichermaßen sicher, daß der Transvestit wieder eingestellt wird.

Shatner verkörpert mit Denny Crane einen Charakter, der im deutschen Fernsehen seit Jahrzehnten nicht mehr aufgetaucht ist: ein zwar reaktionärer, aber liebenswerter älterer Herr, vorzugsweise ein Rechtsanwalt. Es gibt Typen, die andeutungsweise in diese Richtung gehen: Jo Gerner zum Beispiel, der Anwalt aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Aber in der RTL-Seifenoper wird nicht politisiert. Und Gerner trägt seine Weltanschauung nicht vor sich her wie Crane.

Nach Lage der Dinge wird Shatner mit seinen bald achtzig Jahren keine großen Rollen mehr spielen. Trotzdem ist er ungewöhnlich aktiv für sein Alter. Er arbeitet als Sprecher und Moderator. Im April reist er nach Australien zu einem Treffen von „Star-Trek“-Fans, auch bekannt als Trekkies. Dort hält er einen Vortrag unter dem Motto „Kirk, Crane und danach“. Er hat also noch Pläne für die Zukunft.

Boston Legal läuft auf Vox als Wiederholung, montags um 23 Uhr. Zur Zeit wird die zweite von insgesamt fünf Staffeln gezeigt.

Foto: Paraderolle: Denny Crane (Mitte), sein Freund Alan Shore (links) und Robert Wagner in einer der zahlreichen Gastrollen bei „Boston Legal“

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