© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

CD: Schostakowitsch
Mechanisierte Dummheit
Sebastian Hennig

Nach Stationen in der heimatlichen Ukraine, in Pommern und Korea leitet Roman Kofman seit 2003 das Beethoven-Orchester Bonn als Generalmusikdirektor. Sein Einstand war die Aufführung sämtlicher Sinfonien von Dmitri Schostakowitsch (1906–1975), in dem man getrost einen Beethoven des 20. Jahrhunderts sehen kann. Bereits seine erste Sinfonie (1926) legte innerhalb kürzester Zeit einen Siegeslauf durch die Konzerthäuser des Erdballs zurück. Während seines ganzen Lebens beging er jährlich den Tag der Uraufführung. Eine Aura der Unverletzbarkeit umgab den nervösen, verletzlichen Mann. So sehr der Ruhm ihn auch schützte, kam er nicht ungeschoren davon. Sein Freund und bedeutendster Mäzen, Marschall Tuchatschewski, der Schöpfer der Roten Armee, wurde in den dreißiger Jahren hingerichtet.

Zur Zeit des Hitler-Stalin-Paktes, in den frühen vierziger Jahren, war die fünfte Sinfonie in einem großen Orchesterkonzert in Frankfurt zu hören. Man stelle sich vor, Wehrmachtssoldaten auf Heimat-urlaub werden konfrontiert mit der gewaltigen Tragik dieses Largo, das Schostakowitsch auf der Krim in drei Tagen komponierte. Hier erklingen zuletzt auch die zarten Töne, die dem Künstler manchmal fast peinlich waren. Erst wenn man die Propagandamachwerke jener Zeit hört, wird in vollem Umfang deutlich, wie wichtig es ihm war, jeden Anflug von Süßlichkeit zu vermeiden. An Schostakowitsch wird deutlich, daß Kunst etwas mit Dämon zu tun hat. Hier hilft kein Üben und Wollen, kein Fleiß und keine Einsicht. Nur das, was von Anfang an da ist, das wird durch die schöpferische Tätigkeit hervorgebracht.

Die politische Deutung, als positives oder negatives Vorurteil, hat im Westen den Blick auf dieses Werk lange verstellt. Die grotesken Tänze und Märsche sind kein politisch gerichteter Widerstand, der an Hitler oder Stalin adressiert ist, sondern die komplexe Darstellung einer mechanisierten Dummheit, die alles Menschliche und Zarte überrollt. Jene Moderne, deren Konklusion sich mit den Arbeitslagern und Massenerschießungen ereignete. Die Epoche liegt abgeschlossen hinter unserem Rücken als Erlebnis und vor unseren Augen als überschaubarer Abschnitt. So wie Rubens Malerei eine sinnliche Abbreviatur der Gegenreformation bietet, tönt uns in Schostakowitschs Musik die Signatur dieses 20. Jahrhunderts entgegen. Sie wurde klassisch, ohne den Weg über den Neoklassizismus gehen zu müssen. Unter allen neueren Tonsetzern ist er der Einzige, dessen Gesamtwerk sich beim breiten Publikum durchzusetzen vermochte.

Das wurde in Bonn in den Konzerten zwischen 2003 und 2006 erfolgreich bestätigt. Die fünfzehn Sinfonien auf elf CDs sind nun mit ebenso vielen Beiheften vereint in einer Klappschachtel, deren Rücken sorgfältig gerundet ist. Die Essays von Josif Raiskin ermöglichen es, in Parallelität zur Entstehung der Sinfonien die Biograpie des Meisters zu verfolgen, die trotz aller Anfechtungen und Bedrohungen in der Hervorbringung überdauernder Werke aufging. Die Aufnahmen dokumentieren ohne technische Verfremdung die Lokalität der Konzerte. Der Hörer wird aufgefordert, mit bis zu drei Lautsprecherpaaren sein Zimmer zumindest akustisch zur Godesberger Heilig-Kreuz-Kirche und damit zum Schostakowitschtempel werden zu lassen.

Dmitri Schostakowitsch,Sämtliche Sinfonien MDG 2010  www.mdg.de

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