© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/11 18. März 2011

Die naive Hoffnung auf die islamische Reformation
Lale Agkün ist der Meinung, daß eine Modernisierung des Islam wesentliche Hürden für eine bessere Integration der Muslime in Deutschland beseitigt
Detlef Kühn

Die SPD-Politikerin und promovierte Medizinerin und Psychologin Lale Akgün ist ein Beispiel für die gelungene Integration einer Migrantin aus der Türkei. 1962 kam sie als Neunjährige nach Deutschland. Nach dem Studium war sie in der Jugendhilfe und Familienberatung tätig. Dann baute sie das Landeszentrum für Zuwanderung in Nordrhein-Westfalen auf, das sie auch leitete. Von 2002 bis 2009 war sie Mitglied des Bundestags. Eine Bilderbuch-karriere, mit der sie bewies, was Ausländern in Deutschland alles möglich ist, wenn sie tüchtig sind.

Sie könnte sich zufrieden zurücklehnen, tut es aber nicht. Ihr Buch zeugt von ihrer Beunruhigung über die mangelhafte Integration ihrer Glaubensbrüder und Schwestern, die sie einer schonungslosen Kritik unterzieht. Die Ursachen sieht sie in einer unzeitgemäßen Auslegung des Korans, die sie vor allem den Vorbetern (Imamen) und Vorständen der Moscheevereine in Deutschland anlastet. Ihnen, aber auch den Nationalisten in Regierungsstellen in Istanbul wirft sie Mißbrauch ihrer Macht über die meist ungebildeten Zuwanderer (schon der zweiten oder dritten Generation) vor. Ihre Beispiele sind oft haarsträubend, ihre Argumente eindrucksvoll und verdienen oft Zustimmung, neu sind sie allerdings in den seltensten Fällen.

Das Heil erwartet Lale Akgün von einer umfassenden Modernisierung der islamischen Religion. So etwas kann naturgemäß nur von den Gläubigen selbst geleistet werden. Deshalb richtet sich Lale Akgüns Appell in erster Linie an die Türken und Araber in Deutschland, ihren Verstand zu gebrauchen und die europäische Aufklärung des 18. Jahrhunderts so schnell wie möglich für den Islam nachzuholen. Von der deutschen (Noch-)Mehrheitsgesellschaft erwartet sie entsprechenden politischen Druck auf die muslimischen Organisationen und wirft ihren Politikern Ignoranz in bezug auf Tatsachen und zu große Nachgiebigkeit gegenüber Traditionalisten und Ultraorthodoxen im Islamrat vor. Statt sich Gedanken über „deutsche Leitkultur“ oder die Frage zu machen, ob Deutschland wirklich ein Einwanderungsland sei, sollten die Deutschen den Bürgersinn der Migranten entwickeln und auf „Demokratisierung“ des Islam dringen, worunter sie in erster Linie bessere Chancen für Frauen versteht. Am Ende werde für Deutschland auch der Islam Normalität sein, aber nur, wenn bei ihm – ebenso wie bei den christlichen Kirchen – „die demokratischen Werte von innen“ gestärkt werden. Der Staat müsse „Äquidistanz zu allen Religionsgruppen“ halten. „Entweder genießen alle Religionsgemeinschaften die gleichen Rechte auf hohem Niveau, oder Deutschland muß insgesamt laizistischer werden, also allen Gruppen weniger Rechte geben“, sagt sie. Das wird den Kirchen kaum gefallen.

Lale Akgün erweist sich damit aber als klassische Liberale, die Religion für eine Privatangelegenheit des Individuums hält und ihr keine identitätsstiftende Rolle für die Völker zugestehen möchte. Nationale Identität interessiert sie sowieso nicht, weder bei Deutschen noch bei Türken. Sie selbst fühlt sich in Deutschland pudelwohl, hat aber kein Verständnis für Deutsche, die nicht Fremde im eigenen Land werden möchten. Ihnen wirft sie das „Aufwärmen alter Thesen von Blut und Boden“ vor. Ihren Noch-Parteifreund Thilo Sarrazin und die Bürgerbewegung „Pro Köln“ diffamiert sie als „gewöhnliche Rassisten.“ Daß eine erfolgreiche Integrationspolitik auch etwas mit der Zahl der zu integrierenden Personen zu tun haben und die Grenze der Integrationsfähigkeit der deutschen Gesellschaft bereits erreicht sein könnte, übersteigt ihr Vorstellungsvermögen.

Vor allem aber: Was geschieht, sollte die von ihr propagierte Umgestaltung des Islam scheitern, mag sie sich gar nicht ausmalen. Permanenter Bürgerkrieg in Deutschland und Europa? Wohin wandern sie und ihre „Kopftuchmädchen“ dann aus? Bei dem von Lale Akgün ersehnten Aufstand deutscher Musliminnen gegen den Islamismus darf nichts schiefgehen. Einen Plan B hat sie nicht.

Lale Akgün:          Aufstand der Kopftuchmädchen. Deutsche Musliminnen wehren sich gegen den Islamismus. Piper Verlag, München 2011, broschiert, 280 Seiten, 16,95 Euro

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