© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

„Töricht und schändlich“
Nahost-Experte Peter Scholl-Latour über Libyen, Bahrain und Deutschlands Isolation
Christian Vollradt

Herr Scholl-Latour, in Libyen ist es – anders als in Tunesien oder Ägypten – nicht zu einem Regimewechsel, sondern zu einem blutigen Bürgerkrieg gekommen, in den sich nun der UN-Sicherheitsrat eingemischt hat.

Scholl-Latour: Das liegt vor allem daran, daß die Aufständischen in keiner Weise organisiert und nur mangelhaft militärisch ausgebildet waren. Mit Begeisterung allein kann man keinen Kampf gewinnen gegen eine Armee, die über einen gewissen Drill verfügt und ausreichend bewaffnet worden ist, übrigens auch vom Westen. Wenn dieser Bürgerkrieg drei Tage länger gedauert hätte, wäre zweifellos Bengasi von den Truppen oder Söldnern Gaddafis besetzt, dann wäre der Aufstand erstickt worden. Nun ist die Intervention buchstäblich in letzter Minute gekommen.

Droht der „Allianz der Willigen“, die jetzt zugunsten der Aufständischen interveniert, ein zweites „Afghanistan“?

Scholl-Latour: Daß nun ein endloser Kampf wie in Afghanistan bevorsteht, ist in diesem Fall unwahrscheinlich. Das Terrain, die libysche Wüste, bietet keine Rückzugsmöglichkeiten, vergleichbar dem Hindukusch, in dem sich die afghanischen Taliban verteidigen. Hinzu kommt, daß die von Gaddafi angeheuerten Söldner nicht über denselben Kampfgeist, dieselbe Todesbereitschaft verfügen. Insofern ist mit einem langen Krieg nicht zu rechnen. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zwischen der Cyrenaika, wo der Aufstand ausgebrochen ist und sich durchgesetzt hat und Tripolitanien. Die Cyrenaika war immer besonders, es war der Ort des Senussi-Ordens, einer religösen Bruderschaft, die schon gegen die Italiener gekämpft und ihnen extreme Schwierigkeiten bereitet hat.

Gibt es jetzt noch eine Möglichkeit zur Einigung zwischen den Bürgerkriegsparteien?

Scholl-Latour: Wir sind im Orient, da sind alle möglichen Kungeleien denkbar. Wenn es jedoch am Boden zu Kämpfen zwischen Gaddafis Truppen und westlichen Spezialkräften kommen sollte, wären zwölf Mann des britischen Special Air Service (der bereits im Land operiert) soviel wert wie ein ganzes libysches Bataillon. Dann kippt auch die Stimmung der Bevölkerung, denn selbst in Tripolis sind ja nicht alle auf seiten Gaddafis.

Ist es vernünftig und nachvollziehbar, daß Deutschland nicht für eine militärische Einmischung votiert hat?

Scholl-Latour: Die Bundesregierung hat sich töricht und geradezu schändlich verhalten. Außenminister Guido Westerwelle ließ sich in Kairo feiern und forderte von dort aus die Libyer auf, für die Freiheit aufzustehen. Nun enthält sich Deutschland als einziger Mitgliedsstaat der Europäischen Union bei der Resolution des Sicherheitsrates der Stimme. Damit verärgern wir nicht nur die Franzosen, die in dieser Frage die Initiative ergriffen haben, sondern auch die Amerikaner, die an der Bündnisfähigkeit Deutschlands allmählich zweifeln. Die deutsche Haltung ist ein Ausdruck von Feigheit. Wir leben nicht immer in einer friedlichen Welt, und wenn man die Libyer schon ermutigt, muß man ihnen im Ernstfall auch zur Seite stehen.

Wie wird es Ihrer Meinung nach nun in Libyen weitergehen?

Scholl-Latour: Es kann sein, daß der Gaddafi-Clan auf die eine oder andere Art verschwindet. Aber es darf nicht übersehen werden, daß die libyschen Aufständischen untereinander zutiefst gespalten sind, nicht nur aufgrund von Stammesrivalitäten. Es gibt starke islamische Elemente, denen Gaddafis säkulares Regime stets ein Dorn im Auge war. In der arabischen Welt genoß Gaddafi nie großes Ansehen, sondern wurde eher als ein größenwahnsinniger Clown betrachtet. Nun herrscht bei uns großes Erstaunen darüber, daß die arabischen Staaten gegen ihn Partei ergriffen haben. Hier hat sich die deutsche Diplomatie bis auf die Knochen blamiert; denn die Hoffnung beruhte darauf, daß den Amerikanern die zur Bedingung für einen Einsatz erhobene arabische Zustimmung ohnehin nicht gewährt wird. Wenn sich Gaddafi – was noch nicht ausgeschlossen ist – an der Macht hält, dann wird auch in Ägypten oder Tunesien der demokratische Aufbruch wieder zurückgedreht. Die Militärs dort agierten dann nach dem Motto: „Was der kann, das können wir auch.“ Dann verwandelt sich der „arabische Frühling“ ganz schnell in einen Winter.

Ein anderer Konflikt droht dabei aus dem Blickfeld zu geraten: Bahrain, ...

Scholl-Latour: ... wo die schiitische Mehrheit im Norden seit etwa 200 Jahren unterdrückt wird und nun gegen die sunnitische Oligarchie aufbegehrt, während der König mit Hilfe seiner Verbündeten, den Saudis und den Vereinigten Staaten, diesen Aufstand bekämpft. Hinter der Grenze nach Saudi-Arabien liegen die größten Erdölfelder, auch dort ist die Bevölkerung mehrheitlich schiitisch. Für die Amerikaner, die in Bahrain einen ihrer wichtigsten Flottenstützpunkte unterhalten, ist Realpolitik wichtiger als die Menschenrechte. Wenn das einst persische Bahrain, auf das Iran seit den Zeiten des Schahs Anspruch erhebt, eine schiitische Regierung bekäme, gäbe es ein Bindeglied von dort bis zur Islamischen Republik Iran, und dann wäre die Situation im Persischen Golf noch prekärer. Die Amerikaner betrachten ihre Interessen hier als so vital, daß sie versuchen, die Königstreuen zu ein paar Konzessionen materieller Art an die Schiiten zu bewegen. Sie werden jedoch an dem jetzigen proamerikanischen Regime festhalten, dessen Existenz auf amerikanischen Bajonetten ruht.

 

Prof. Dr. Peter Scholl-Latour ist Journalist und Nahost-Experte.

 

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