© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Norbert Röttgen. Der Bundesumweltminister vertritt alles – außer CDU-Interessen.
Der Aussteiger
Ansgar Lange

In der Politik gibt es Kopf- und Bauchmenschen. Zur zweiten Kategorie gehört der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Als Umweltminister stoppte er 2008 die Einführung von E10. Sein Amtsnachfolger Norbert Röttgen, gern als „Muttis Klügster“ tituliert, gehört zur ersten Kategorie. Nicht nur nach Meinung seiner Kritiker hat er das Desaster bei der Einführung des Biokraftstoffs „verzapft“. Während sich Tankstellen, Mineralölwirtschaft, ADAC, Umweltverbände und Landwirtschaftslobby in die Haare kriegten, wartete man vergebens auf ein klärendes Wort von ihm. Röttgen habe, kritisieren manche, den Draht zum Bürger verloren. Während Rainer Brüderle (FDP) zum Benzingipfel lud, weilte der smarte Christdemokrat, der seit kurzem eine schicke schwarze Brille trägt, mit Familie im Ski-Kurzurlaub.

Das Chaos an den Tankstellen konnte der urlaubsbraune Minister nicht weglächeln. Seine Freunde von FDP und CDU in den Pendlerländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben nicht goutiert, daß kurz vor der Wahl der Eindruck entstand, Schwarze und Gelbe hätten offenbar die Bodenhaftung verloren, weil der federführende Minister seit längerem nicht mehr selbst getankt hat. Vor dem Hintergrund, daß Röttgen im „Nebenberuf“ zudem den stärksten CDU-Landesverband führt und in NRW eventuell Neuwahlen ins Haus stehen, ist dies höchst problematisch.

Jetzt kam auch noch Japan hinzu. „Kann jemand Kanzler?“ – so werden sich nicht nur seine ehemaligen Mitstreiter und jetzigen Gegner wie CDU-Fraktionschef Kauder und Kanzleramtsminister Pofalla mit Blick auf Röttgen fragen, der gleich zwei Hypotheken mit sich herumträgt: Beim Biosprit-Desaster machte er keine bella figura, und in einer zumindest möglichen Auseinandersetzung mit „Schuldenkönigin“ Hannelore Kraft (SPD) könnten Sozialdemokraten und Grüne ausgerechnet den schwarz-grün angehauchten Rheinländer als „Atomminister“ brandmarken.

Konservativen gilt Röttgen als einer, der alte Gewißheiten opportunistisch über Bord wirft. Wenn Norbert Blüm mit Argumenten der katholischen Soziallehre für seine Positionen eintrat, wirkte dies authentisch. Röttgens Begründung des Umweltschutzes durch die christliche Ethik ähnelt eher einer Kopfgeburt. Dem stets adrett gekleideten Rechtsanwalt fehle die Wärme, meinen einige. Seine Aussage, die CDU dürfe die Kernenergie nicht zu einem Alleinstellungsmerkmal machen, mag heute prophetisch klingen. Doch echte Erfolge kann Röttgen bisher nicht verbuchen. Ob er den Wählern die Kehrtwende der CDU in der Atompolitik oder in der NRW-Schulpolitik nahebringen kann, ist zweifelhaft. Die nötige Wendigkeit bringt der frühere „Junge Wilde“, der für eine Liberalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts stritt, mit. Volksnähe und Durchsetzungskraft stehen jedoch noch nicht auf seiner Habenseite.

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