© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Verzweifelte Kapriolen am Abgrund
Baden-Württemberg: Angesichts des drohenden Machtverlusts der CDU präsentiert sich Stefan Mappus als ergrünter Gefühlspolitiker
Kurt Zach

In Sachsen-Anhalt sind die Klatschen kassiert, in Baden-Württemberg geht das schwarz-gelbe Zittern noch weiter. Selbst in ihrem Stammland schrammt die FDP in Umfragen seit geraumer Zeit gefährlich nahe an der Fünf-Prozent-Linie entlang. Und für die Union könnten nach einer beeindruckenden Serie strategischer und taktischer Fehler mit ihrem erst seit einem guten Jahr amtierenden Vorsitzenden Stefan Mappus 58 Jahre CDU-Vorherrschaft im Südwesten zu Ende gehen.

Ob Norbert Röttgen sich darüber vielleicht sogar freuen würde? Vor einem Jahr hatte Mappus den Bundesumweltminister im Streit um die Laufzeiten für Atomkraftwerke noch zum Rücktritt aufgefordert; seit der von Röttgen und Kanzlerin Angela Merkel nach dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima im Handstreich „par ordre de Mutti“ (Spiegel) vollzogenen Atom-Kehrtwende profiliert sich indes auch Stefan Mappus, von Umfragepanik getrieben, als plötzlich ergrünter Gefühlspolitiker und erster Kernkraftwerksabschalter.

Den Abwärtstrend für die CDU hat diese Kapriole indes nicht aufhalten können. Fukushima hat Mappus die lange geplante Strategie für den Wahlkampfendspurt verdorben: Mit Parolen wie „Grün-links – nein danke!“ wollte die CDU ihre Stammwählerschaft mobilisieren und mit der Warnung vor dem rot-grünen Chaos auf den letzten Metern doch noch die Nase vorne behalten. Zehn Jahre zuvor hatte das im Duell zwischen Amtsinhaber Erwin Teufel und SPD-Herausforderin Vogt glänzend funktioniert.

Anders als dem bodenständigen Teufel fehlt es Mappus, der das im Fraktionsvorsitz kultivierte konservative Image mit dem Wechsel ins Regierungsamt wie einen alten Mantel abgestreift hat, an Verläßlichkeit. Beobachter sprechen dem Ministerpräsidenten, der in der heißen Phase des Wahlkampfs die eigene Partei mit einem Frontalangriff auf den Stuttgarter CDU-Oberbürgermeister düpiert hatte, schlicht den politischen Instinkt ab. Daß er zwei Wochen vor der Wahl unvermittelt auf zuvor verteufelte grüne Positionen umgeschwenkt ist, hilft allein den Grünen selbst.

Die belegen seit Fukushima wieder den Platz der zweitstärksten Partei, den sie im Dauerkonflikt um das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ schon im Herbst erobert hatten. Nachdem Mappus’ Kalkül zunächst aufgegangen und der Protest gegen den Bahnhofsneubau nach dem geschickt eingefädelten Schlichterspruch Heiner Geißlers zuletzt merklich verblaßt war, beschert die Anti-Atom-Stimmung den Südwest-Grünen zum perfekten Zeitpunkt einen neuen Höhenflug. Zwar werden sowohl CDU als auch die vom Sachsen-Anhalt-Desaster aufgerüttelte FDP, deren Personal mit Justizminister Ulrich Goll an der Spitze durchweg farblos und verbraucht wirkt, durch die Mobilisierung von Stammwählern mit langfristigen Bindungen noch Boden gutmachen können. Aber auch in der Union muß man derzeit kein ausgemachter Pessimist sein, um den Machtwechsel als realistische Option einzukalkulieren.

Die Republikaner, die als einzige Partei rechts der Union flächendeckend antreten – daß eine Partei nur dort gewählt werden kann, wo sie auch einen Wahlkreiskandidaten aufstellt, ist eine Besonderheit des baden-württembergischen Ein-Stimmen-Wahlrechts –, werben gezielt um Nichtwähler und vergraulte Konservative, um linke Mehrheiten zu verhindern; allerdings wird die Partei, obwohl vom Verfassungsschutz nicht mehr als „rechtsextrem“ eingestuft, von überregionalen Medien weiterhin ausgeblendet.

Für kleine Parteien ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen zwei Lagern ohnehin eine prekäre Situation. Sollte Schwarz-Gelb doch vor Grün-Rot liegen, entscheidet das Ergebnis der Linkspartei, die die meisten Umfragen nicht im Landtag sehen, ob es für den Machterhalt der CDU-FDP-Koalition reicht. Wohlweislich hat der junge und eher blasse SPD-Spitzenkandidat Nils Schmid ein Bündnis mit der Linkspartei nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Immerhin kann Schmid, den Hürriyet wegen seiner türkischen Ehefrau schon zum „nationalen Schwiegersohn“ (der Türkei, versteht sich) ernannt hat, auf die Stimmen eingebürgerter Einwanderer spekulieren.

Schmid, dessen Spitzenkandidatur auch ein Symptom der Personalnöte der unter hohem Vorsitzenden-Verschleiß leidenden Südwest-SPD ist, will zwar auch als Juniorpartner in eine grün-rote Koalition unter dem derzeitigen Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann eintreten. Der Anti-Atom-Höhenflug der Grünen macht diese Frage für die hartnäckig um zwanzig Prozent dümpelnden Sozialdemokraten wieder akuter. Schmids Begeisterung für eine Große Koalition liegt nach eigenem Bekunden zwar „unter dem Gefrierpunkt“, rundweg ausschließen will er sie aber auch nicht. Die CDU jedenfalls schont die Sozialdemokraten im Wahlkampf auffallend und hat sich von Anfang an auf die Grünen als Hauptgegner eingeschossen.

Der 62 Jahre alte Lehrer und Grünen-Mitgründer Winfried Kretschmann, bürgerlich-bodenständig auftretender „Realo“ mit Vergangenheit im Kommunistischen Bund Westdeutschland, könnte am Sonntag durchaus zum tragischen Wahlsieger werden. So oder so wird er seine viele Jahre hindurch angestrebte Wunschkonstellation, die schwarz-grüne Koalition, wohl nicht mehr erleben. Nach allem, wie sich die beiden Parteien und ihre Spitzenkandidaten im „Stuttgart 21“-Streit ineinander verbissen haben, wäre eine solche Mappus-Volte denn wohl doch zuviel.

Foto: CDU-MInisterpräsident Stefan Mappus im Stuttgarter Landtag: Auf zuvor verteufelte Positionen umgeschwenkt

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