© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Staatspleite voraus
USA im Schuldenstrudel: Harter Kampf um Milliardeneinsparungen im Haushalt / Tea-Party setzt Republikaner unter Druck
Elliot Neaman

Als wären die Haushaltssorgen der US-Regierung nicht schon schlimm genug, haben das Erdbeben und die dadurch ausgelösten Störfälle in japanischen Atomkraftwerken für neue Probleme gesorgt. Entgegen dem üblichen Trend in der Folge von Katastrophen verzeichnete der Yen-Kurs letzte Woche einen Aufschwung, als Investoren und Unternehmen ihr Kapital in die Heimat zurückverlagerten, um rechtzeitig für den Wiederaufbau der dortigen Infrastruktur zur Stelle zu sein.

Die Finanzmärkte antizipierten ebenfalls, daß Japans Zentralbank einen Teil ihrer US-Schuldverschreibungen in Höhe von insgesamt 900 Milliarden Dollar einlösen würde, die 20 Prozent der US-Auslandsschulden ausmachen. Die G7 reagierten mit einer koordinierten Intervention, die den Yen-Kurs zunächst wieder nach unten zu drücken vermochte. Die Geschichte lehrt jedoch, daß Währungshändler den Kampf gegen Versuche, von staatlicher Seite den Markt zu manipulieren, meist gewinnen.

Bislang haben die USA ihre enormen Schulden durch Aufnahme von kurzfristigen Kredite relativ billig bedienen können. Wenn aber nach den Japanern noch weitere Gläubiger anfangen, ihre Schuldverschreibungen einzulösen, wird dies den Zinssatz in die Höhe treiben und die USA in eine noch größere Bredouille bringen.

Vergleicht man die Haushaltsprobleme der einzelnen Bundesstaaten mit denen der Euro-Mitgliedsländer, dann ist es um letztere weitaus schlechter bestellt. Kalifornien etwa hat US-weit das drittgrößte Haushaltsdefizit in einer Höhe von rund 23 Prozent des Gesamthaushalts. Das hört sich nach viel an, macht aber in Wirklichkeit nur ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Griechenlands Defizit liegt bei über 25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Anders als in der Euro-Zone lassen die Verfassungen der meisten US-Bundesstaaten eine Finanzierung von Leistungen und Gehältern im öffentlichen Dienst, zum Beispiel Transferzahlungen, durch Verschuldung gar nicht erst zu. Würden in der Europäischen Währungsunion ähnliche Regelungen gelten, wäre die Griechenland-Krise  zumindest glimpflicher verlaufen. Die Euro-Länder haben jedoch einen Riesenvorteil gegenüber den US-Bundesstaaten: keinen hoch verschuldeten Bundeshaushalt. Im Jahr 2000 schrieben die USA noch schwarze Zahlen; seitdem ist das Defizit auf zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen – Tendenz: steil aufwärts. Im Laufe des 20. Jahrhunderts lag es nur zweimal höher als heute: in der unmittelbaren Folge des Ersten und während des Zweiten Weltkriegs.

Der Aufstieg der Tea-Party-Bewegung aus dem Nichts ist nicht zuletzt den Haushaltsproblemen geschuldet. Nach dem Implodieren der Finanzmärkte 2008 richtete sich der Ärger der Bevölkerung weniger gegen die Banker und Hedge-Fonds-Jongleure, die mit ihrer rücksichtslosen Leichtsinnigkeit um ein Haar das weltweite Finanzsystem zerstört hätten, als vielmehr gegen die Unsummen, die die Bush- und Obama-Regierungen zur Bankenrettung und Konjunkturbelebung aufwandten. Bei den Kongreßwahlen 2010 trumpften die von der Tea Party unterstützten Kandidaten auf und brachten die Verhältnisse vor allem im Repräsentantenhaus aus dem Gleichgewicht. Dessen neuer Sprecher John Boehner hatte es auf einmal mit siebzig Neulingen zu tun, die vor allem eins wollten: Ausgaben kürzen. Sie forderten Haushaltskürzungen in Höhe von 100 Milliarden Dollar. Nachdem ihm 54 republikanische Parteifreunde von der Fahne gegangen waren, mußte Boehner sich auf die Demokraten verlassen, um genug Stimmen zur Verabschiedung eines vorläufigen Haushaltsentwurfs zusammenzukriegen, der lediglich Kürzungen in Höhe von sechs Milliarden Dollar vorsieht. Beide Seiten haben nun bis zum 8. April Zeit, sich auf einen Haushalt für die folgenden sechs Monate zu einigen – und ihre Vorstellungen klaffen um 50 Milliarden Dollar auseinander.

Die Obama-Regierung fordert einen Gesamthaushalt von 3,8 Milliarden Dollar für 2011. Das Jahresdefizit dürfte Schätzungen zufolge bei etwa 1,2 Milliarden Dollar liegen, womit sich das Defizit insgesamt auf beinahe 14 Billionen Dollar erhöhen würde. Für 2015 rechnet das US-Finanzministerium mit einem 19,6 Billionen-Defizit. Verglichen mit diesen Zahlen kämen selbst Haushaltskürzungen von 100 Milliarden Dollar dem sprichwörtlichen Tropfen auf den heißen Stein gleich. Wenn es nach den Demokraten gegangen wäre, wären sogar noch mehr Gelder in Konjunkturpakete geflossen – insofern ist allein die Tatsache, daß nun nicht mehr darüber gestritten wird, ob, sondern um wieviel der Haushalt gekürzt werden soll, ein Sieg für die Tea Party.

Daß sich auch in der Bevölkerung die Stimmungslage geändert hat, zeigt sich an der Popularität republikanischer Gouverneure unter anderem in Wisconsin, Ohio und Tennessee, die ihre Wahlversprechen wahr gemacht und drastische Ausgabenkürzungen durchgesetzt haben.

Auf einmal müssen sich Lehrer, Feuerwehrmänner, Polizisten und andere Beschäftigte im öffentlichen Sektor gegen Vorwürfe der Verschwendung von Steuergeldern verantworten. Insbesondere Lehrer, die nicht eben fürstliche Gehälter beziehen, sind zur Zielscheibe geworden, da ihre Gewerkschaften die Demokratische Partei bei Wahlkämpfen traditionell massiv unterstützen. Auch die US-Notenbank sieht sich aufgrund ihrer euphemistisch als „quantitative Lockerung“ bezeichneten Politik heftigen Angriffen seitens der Tea Party ausgesetzt. Ihr Chef Ben Bernanke hält steif und fest an der Überzeugung fest, daß die Rezession sich nur durch niedrige Zinssätze und den Verkauf von US-Schuldverschreibungen bekämpfen läßt, die derzeit 70 Prozent von der Notenbank selber aufgekauft werden. Nach Ansicht fiskalkonservativer Republikaner müssen diese Maßnahmen früher oder später zu einem Anstieg des Zinssatzes und damit zur Inflation führen.

Die gute Nachricht ist, daß sowohl die Einzelstaaten als auch die Washingtoner Bundesregierung, die sich jahrelang vor harten Entscheidungen gedrückt haben, sich nun endgültig gezwungen sehen, der Realität ins Gesicht zu sehen. Die schlechte Nachricht ist, daß die Möglichkeiten begrenzt, die Lösungen unbefriedigend und mehr Katastrophen zu erwarten sind.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: Finanzpolitische Titanic-Stimmung in den Vereinigten Staaten: Für 2015 rechnet das US-Finanzministerium mit einem 19,6 Billionen-Defizit

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