© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Vom Blumenmädchen zur Gräfi n und Feldmarschallin
Sternstunden der Sangeskunst: Zur Erinnerung an Elisabeth Grümmer
Wiebke Dethlefs

Klanggewordene romantische Innigkeit“ – so emphatisch charakterisiert der Musikkritiker Jürgen Kesting Elisabeth Grümmer. Sie war die einzige deutsche Sängerin der Nachkriegszeit, die ein besonderes „Gnadengeschenk des Timbres“ aufweisen konnte und darin zahllosen Rollen wie Pamina, Agathe, Eva, Elsa und Hänsel deren schönstes, eigenes Gesicht geben konnte. Kesting spricht von „empfindsam-beseelter, verhaltener Leidenschaftlichkeit“, vom „Bekenntnis einer schönen Seele“, wenn er an das Singen der Grümmer denkt.

Trotz dieser hymnischen Lobpreisungen, die sie bereits zu Lebzeiten legendär werden ließ, strebte sie nie eine internationale Karriere an. Ganz bewußt blieb sie dem deutschen Sprachraum verhaftet, blieb eine deutsche Angelegenheit. Dem italienischen Fach hat sie sich mit der Ausnahme von Verdis Elisabetta (Troubadour) und der Desdemona (Otello) kaum gewidmet.

Als Elisabeth Schulz kam sie am 31. März 1911 im lothringischen Niederjeutz (heute Yutz) bei Thionville zur Welt. Ab 1919 lebte die Familie  in Meiningen. Elisabeth Grümmer lernte dort Klavier, besuchte die Schauspielschule und übernahm wegen ihrer schönen Stimme kleine Gesangspartien an der Meininger Oper, war aber in erster Linie mit klassischen Rollen am Theater tätig.

Von Anfang an war sie von der Person und von der Violinkunst des Konzertmeisters der Oper Detlef Grümmer fasziniert, den sie 1935 auch heiratete. Als Detlef Grümmer ein Engagement in Aachen annahm, folgte sie ihm und begann dort nun erst das Gesangsstudium. Rasch wurde der dortige junge Kapellmeister Herbert von Karajan auf sie aufmerksam. Er bot ihr 1941 die Rolle eines Blumenmädchens im „Parsifal“ an. Und mit dieser Rolle ging es für Elisabeth Grümmer rasch bergauf. Mit der Gräfin in Lortzings „Wildschütz“ und dem Octavian im „Rosenkavalier“ wurde sie weithin bekannt. Während sie 1943 in Dresden gastierte, wurde ihr Haus in Aachen während eines Bombenangriffs zerstört, dabei kam auch ihr Mann ums Leben.

An der Städtischen Oper Berlin (heute Deutsche Oper) begann 1946 ihre eigentliche Karriere. Bis 1971 blieb sie diesem Haus verbunden. Legendär war hier ihre Zusammenarbeit mit Dietrich Fischer-Dieskau. Beide galten als die ideale, einzig mögliche Besetzung des Grafenpaars in Mozarts „Figaro“. Mit der Marschallin im „Rosenkavalier“ gab sie am Neujahrstag 1972 ihre Abschiedsvorstellung. Am 6. November 1986 verstarb sie im westfälischen Warendorf.

Elisabeth Grümmer galt als der lyrische deutsche Sopran der Nachkriegsära. Als Gräfin in Figaro und Capriccio, als Donna Anna, Pamina, Fiordiligi und Marschallin zeigte ihr Wesen eine seltene Ganzheit von Mensch und Künstlerin. Die bescheidene Sängerin war sich ihres künstlerischen Geheimnisses kaum bewußt. „Die echte Bescheidenheit, nicht das Exaltierte ist das Fundament eines jeden künstlerischen Schaffens“ war dabei ihr musikalisches Credo. Sie pflegte neben der Oper auch den Liedgesang und das Oratorium. Ihre Liedkunst war hierbei stets aus dem Geist der Dichtung empfunden. Einige Opernfiguren wurden durch sie in singulärer Weise gestaltet. So ist ihre Interpretation der Agathe in Webers „Freischütz“ wohl von niemandem übertroffen worden. In Joseph Keilberths mustergültiger Freischütz-Aufnahme von 1958 ist in der Rolle der Agathe eine selten schöne Verschmelzung von Wort und Ton real geworden, wie es auch für die Aufnahmen desselben Werks unter Furtwängler (1954) und Erich Kleiber (1955) gilt. All diese Einspielungen sind für die Weber-Rezeption maßstabsetzend.

Elisabeth Grümmer hat nicht allzuviele Aufnahmen hinterlassen, doch jede davon zählt zu den Sternstunden der Sangeskunst. Scheinbar ganz unbewußt arbeitete sie nur mit jenen Kollegen und Dirigenten zusammen, die ihr großes Künstlertum teilten. Ihre Darstellung der Sopranpartie in der Matthäuspassion unter Furtwängler (1954), ihre Elisabeth in Franz Konwitschnys „Tannhäuser“ (1960) und ihre Elsa in Rudolf Kempes „Lohengrin“ (1963) sind zeitlose Interpretationen, die künstlerisch von der Nachwelt kaum übertroffen wurden. Und wir teilen Jürgen Kestings schwärmerisches Urteil über die Aufnahme von „Hänsel und Gretel“ unter Karajan von 1953, wenn er vom „schönsten Sopran- und Klangluxus“ der Plattengeschichte spricht.

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