© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/11 25. März 2011

Das zweigeschlechtliche Tintentier
Frau, Jüdin, Liberale, Königsbergerin: Zum 200. Geburtstag der Schriftstellerin Fanny Lewald
Hartmut Graebe

Wie bei fast allen Erfolgsschriftstellern des 19. Jahrhunderts, so zerbröselte auch Fanny Lewalds Ruhm in Windeseile, kaum daß sie unter der Erde war. Aus den Leihbibliothekn verschwanden ihre Werke, und der Pantheon der Literaturwissenschaft reservierte dieser Vielschreiberin ohnehin keinen Platz.

Daß ihr eine Wiederauferstehung aus völliger Vergessenheit beschieden war, verdankt sie drei Merkmalen: Frau, Jüdin, Liberale. Die vor zweihundert Jahren, am 24. März 1811 in Ostpreußens Hauptstadt Königsberg geborene, 1889 gestorbene Fanny Lewald, durfte daher erst wieder auf Resonanz rechnen, als „fortschrittliche Kräfte“, die „Frauenbewegung“ allen voran, zwecks „Selbstverständigung“ nach „Vorläufern“ zu fahnden begannen. Das vollzog sich kurz vor dem hundertsten  Todestag der moderaten Frauenrechtlerin von Anno dazumal, im Abendschein der Bonner Republik. Seitdem kann man zwar nicht gerade von einer Lewald-Konjunktur sprechen, da das Gros ihrer Romane und Erzählungen einfach nicht mehr zur Wiederauflage taugte. Aber ihre Autobiographie mit ausführlichen Milieuschilderungen aus ihrer Heimatstadt am Pregel, ihre Briefwechsel (eine Auswahl gab Günter de Bruyn 1992 heraus), „Politischen Schriften“ („Für und wider die Frauen“, 1989) und Reiseessays („Italienisches Bilderbuch“, 1992) weckten ein bescheidenes Leserinteresse. Und vor allem in der zusehens „Gender“-orientierten Germanistik erhöhte sich der Ausstoß an Sekundärliteratur.

Mut zur Aktualisierung ihrer Heldin brachten vornehmlich die weiblichen Lewald-Deuterinnen auf. So fiel es Gabriele Schneider in ihrer Rowohlt-Monographie (1996) nicht schwer, sie als „Anwältin der Außenseiter“ über Lewalds eigentliche Klientel, Frauen und Juden, hinaus auch für „ungelernte ausgebeutete Arbeitskräfte“ oder „ohne staatsbürgerliche Rechte in Deutschland lebende Ausländer“ zu reklamieren.

Emma-Abonnentinnen ausgenommen, können derart präsentistische Klimmzüge neugierig Gewordene eher wieder verscheuchen. Was schade wäre, da mindestens Fanny Lewalds Korrespondenzen als Spiegel ihrer hundertfach vernetzten Literatenexistenz zum Einstieg in die Kulturgeschichte zwischen Vormärz und Reichsgründungsära einladen. Dank ihrer zahllosen Beziehungen – zu Heine, Gutzkow, Lassalle, Liszt, Varnhagen, Auerbach, Fontane, Heyse e tutti quanti – ist man bei der „deutschen George Sand“ sogleich im Mittelpunkt der geistig-politischen Welt Preußen-Deutschlands. In ihrem Berliner Salon, den sie in der „Reaktionsperiode“ nach 1848 zusammen mit ihrem Mann, dem Journalisten Adolf Stahr unterhielt, stellten sich schreibende Größen und Halbgrößen bei „Butterbröten und Thee“ schockweise ein.

Spötter verulkten die zeilenschindende, während der 1860er Jahre auf Hochtouren laufende  Produktion der Gartenlaube-Autorin und ihres Gatten als Gemeinschaftswerk eines „zweigeschlechtlichen Tintentiers“.

Anders als die jüngere und erfolgreichere Eugenie Marlitt (1825–1887), nach einem ihrer Romane als „Goldelse“ unter den Trivialautoren ihrer Zeit bekannt, blieb Lewald stets ihrem Herkommen aus dem liberalen Königsberger Judentum und ihrer Sozialisation durch die bürgerliche Intelligenz der vorrevolutionären Epoche vor 1848 treu, die auf die demokratische Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse, auf  „Emanzipation“ von allen traditionellen Bindungen, zuvörderst den religiösen, drängte.

Ihre Prosa will daher anders als Marlitts Massenware nicht bloß unterhalten, sondern stets weltanschaulich „aufklären“ und sozialreformerisch wirken. Wie viele alte „Barrikadenkämpfer“ wandelte sie sich dabei langsam von der republikanischen Sozialistin zur Bismarck-Anhängerin. Auch dieser Bekehrungsprozeß hin zum politischen Realismus macht sie nicht nur für Historiker zu einem heute noch reizvollen Studienobjekt.

Fanny Lewald: Meine Lebensgeschichte. Directmedia Publishing, Brașov 2008, kartoniert, 680 Seiten, 49,90 Euro

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