© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Das Ziel vor Augen
Bildung: Islamunterricht auf dem Vormarsch
Sebastian Pella

Deutschland hat Angst vor dem Islam. Diese Feststellung stammt von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), die vor der Tagung der Deutschen Islamkonferenz am Dienstag auch gleich ein Gegenmittel empfahl: moslemischen Religionsunterricht an deutschen Schulen. Nicht nur die Angst könne dadurch abgebaut werden, es sei gleichsam ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Islam, sagte Schavan der taz. „Wir können den Islam und die religiösen Strömungen nicht ignorieren. Sonst machen sie sich selbständig“, warnte Schavan.

Doch noch ist es ein weiter Weg bis zum flächendeckenden Islamunterricht, den die Bundesregierung als Baustein zur Integration und als Gegengift zum islamistischen Extremismus sieht. Bislang laufen in einigen Bundesländern lediglich sogenannte Modellversuche, die zudem noch in zwei Varianten angeboten werden. Teilweise steht islamischer Religionsunterricht auf dem Stundenplan, der bekennend in den Glauben einführt, teilweise nichtkonfessioneller „neutraler“ Islamunterricht. Haupthindernis auf dem Weg zum Regelunterricht sind zumeist fehlende Ansprechpartner auf seiten des Islam.

Bereits 2003 startete Bayern, zunächst in Erlangen, Islamunterricht als Modellversuch. Dort hat der Verein „Islamische Religionsgemeinschaft Erlangen“ unter Federführung des Bayerischen Kultusministeriums an der Entwicklung des Lehrplans sowie der Lehrkräfteauswahl mitgewirkt. Ähnliche Modelle wurden auch mit anderen weiteren Elternvereinen auf lokaler Ebene umgesetzt, wobei ein Lehrplan Islamunterricht am Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung erarbeitet und vom Kultusministerium genehmigt wurde. 2009 hat Bayern den Modellversuch landesweit auf 256 Grund- und Hauptschulen, fünf Realschulen und ein Gymnasium ausgeweitet.

Niedersachsen bietet ebenfalls seit 2003 Islamunterricht als Schulversuch an Grundschulen an. Im laufenden Schuljahr nehmen bereits weit über 2.000 Schüler an 42 Grundschulen daran teil. Der islamische Religionsunterricht in den Grundschulen gründet auf einem vom Land verantworteten Lehrplan, der mit Muslimen abgestimmt und von speziell ausgebildeten moslemischen Lehrkräften erteilt wird. Diese sind als muttersprachliche Lehrer bereits vor einiger Zeit vom Land eingestellt worden, und wurden in mehrwöchigen Kursen intensiv auf den Unterricht vorbereitet. Sobald genügend Lehrkräfte zur Verfügung stehen, soll der Unterricht auch an weiterführenden Schulen angeboten werden. Erklärtes Ziel ist es, islamischen Religionsunterricht möglichst bald als Regelfach flächendeckend anzubieten.

Neben Bayern und Niedersachsen bieten auch Baden-Württemberg Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg Hamburg, Bremen und Berlin bereits Islamkundeunterricht oder islamkundlichen Religionsunterricht an. Von den westdeutschen Ländern steht lediglich im Saarland und in Hessen der Islam noch nicht auf dem Stundenplan. Hessen plant allerdings die Einführung eines bekenntnisorientierten Islamunterrichts bis 2013. Anders in den mitteldeutschen Ländern: Dort steht das Thema Islamunterricht wegen mangelnder Nachfrage bislang nicht auf der Tagesordnung.

Im Westen dagegen läuft die Zeit der Modellversuche aus: Wenn alles nach Plan verläuft, wird Nordrhein-Westfalen das erste Bundesland sein, das demnächst flächendeckenden Islamunterricht einführt. Die rot-grüne Landesregierung in NRW verkündete Anfang März, das Land habe sich mit den vier im Koordinationsrat der Muslime zusammengeschlossenen Islamverbänden geeinigt, zu Beginn des Schuljahres 2012/2013 flächendeckend einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht einzuführen. Die islamischen Verbände stimmten dem Vorschlag zu, die Lehrpläne mit einem vom Schulministerium ernannten Expertengremium auszuarbeiten. Das Fach Islamkunde gibt es als Modellversuch bereits seit 1999 in NRW.

Nach den Vorstellungen des Bundes-innenministeriums sollen die Länder in der Frage der Ansprechpartner als Übergangslösung mit den islamischen Organisationen kooperieren, die auch für eine Anerkennung zur islamischen Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts in Frage kommen. Abgesehen von den rechtlichen Problemen mit dieser Anerkennung sowie den religiösen Differenzen und Grabenkämpfen zwischen den zahlreichen Islamverbänden besteht das grundsätzliche Problem eines Interessenkonflikts zwischen Bundesländern und moslemischen Organisationen.

Während die Länder ein starkes Interesse an schnellen Übergangslösungen besitzen, betrachten die Verbände die Anerkennung als Religionsgemeinschaft als primäres Ziel und befürchten, eine Zwischenlösung könnte die Endstation in der Entwicklung sein.

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