© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Fünf vor zwölf in der arabischen Erbrepublik
Syrien: Der junge Präsident Baschar al-Assad konnte seinen Reformwillen nicht durchsetzen – die Eskalation der Gewalt setzt ihn nun unter Zugzwang
Günther Deschner

Lattakia, Homs und Damaskus: Seit dem Gewaltausbruch im südsyrischen Deraa steht Präsident Baschar al-Assad vor der größten Krise seiner Amtszeit. Angesichts der Entwicklung war allen Beobachtern klar, daß ihm nicht mehr viel Spielraum blieb. Assads Zögern könnte auf einen Machtkampf innerhalb des Regimes schließen lassen, bei dem sich Verfechter eines harten Durchgreifens und reformwillige Vertreter gegenüberstehen. Maher al-Assad, der jüngere Bruder könnte zur ersten Gruppe gehören, Baschar dagegen könnte die Proteste dazu nutzen, die lange erwarteten Reformen durchzusetzen.

Seit einer Woche ist aus Damaskus zu hören, die Aufhebung des Ausnahmerechts sei beschlossene Sache, was einer Entmachtung der Geheim- und Sicherheitsdienste gleichkäme. Ob die Prätorianer des Regimes widerstandslos das Feld räumen, bleibt eine der offenen Fragen allen politischen Wandels.

Baschar folgte seinem Vater Hafez al-Assad, der seit 1970 mit harter Hand regiert hatte. Seit 1963 ist in Syrien die Baath-Partei, die säkulare „nationale und sozialistische Partei der Arabischen Wiedergeburt“ an der Macht. Und an den Schalthebeln der Kontrolle sitzt seither eine Minderheit: Die Familie Assad gehört der Gemeinschaft der Alawiten an, einer Strömung am Rande des Islams, die die Scharia ablehnt.

In die Politik geriet der Präsidentensohn nicht freiwillig. Zur Macht drängte ihn weder Neigung noch Ehrgeiz, sein Lebensziel war in jeder Hinsicht zivil: In Damaskus und London studierte er Medizin, machte eine Facharztausbildung und wollte als Augenarzt arbeiten. Nachfolger des Präsidenten sollte sein älterer Bruder Basil al-Assad werden. Doch der verunglückte 1994 bei einem Autounfall tödlich. Baschar kehrte daraufhin auf Drängen des Vaters nach Syrien zurück, absolvierte die Militärakademie und wurde Kommandeur der Präsidentengarde. Damit er nach des Vaters Tod im Juni 2000 dessen Nachfolger werden konnte, wurde die Verfassung geändert und das Mindestalter für den Präsidenten von 40 auf 34 Jahre herabgesetzt, um die Nachfolge zu ermöglichen.

Daß er „mitspielte“, wurde ihm von Partei und Sicherheitsnomenklatura schlecht gedankt. Als Baschar bald nach seinem Machtantritt versuchte, das Land mit vorsichtigen Reformen aus seiner inneren Verkrustung und der internationalen Isolation herauszuführen – und als er Bündnisse mit dem sunnitischen Bürgertum schmiedete, setzten die alten Parteigenossen auf Obstruktion.

In weiten Teilen der arabisch-sunnitischen Bevölkerung und bei den Alawiten ohnehin, wurde Baschar – eingehüllt in das Banner seines unbeugsamen Widerstands gegen Israel und die USA – zunehmend akzeptiert. Wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiet brachte er auch Reformen in Gang. Vor allem seine Anläufe zur Umwandlung der bis dahin sakrosankten zentralen Planwirtschaft in ein marktwirtschaftliches Modell öffneten neue Chancen. Syriens BIP entwickelte sich positiv und auch ein Programm für Auslandsinvestitionen zeigt Erfolge. „Alte“ Kräfte in der Regierung waren jedoch vom Tempo der Veränderungen schnell beunruhigt. „Es gibt das Lager der Reformer und das derer, die sich dagegenstellen“, urteilte Lahcen Ashi, Wirtschaftsexperte in Beirut. „Was man im heutigen Syrien feststellt, verglichen mit dem Syrien vor fünf Jahren, ist der Anstieg der sozialen Ungleichheit. Es gibt Leute, die sich bereichern, weil es eine Öffnung gibt. Man sieht viel mehr dicke Autos, Leute, die ihren Reichtum zur Schau stellen.“ Der Rest der Bevölkerung habe davon nicht profitiert. „Doch jegliche Veränderung muß mit politischen Maßnahmen einhergehen“.

Aber auch hier stellt sich die Frage nach dem Danach. Etablierte Oppositionskräfte gibt es nicht, jegliche Formierung der Opposition wurde stets im Keim erstickt. US-Syrologe Joshua Landis brachte es dieser Tage auf den Punkt, als er vom „absoluten Nichtvorhandensein irgendeiner politischen Führung innerhalb der Oppositionsbewegung“ sprach.

Die meisten Syrer sind, selbst wenn sie nicht zu den Bewunderern der repressiven Erbrepublik der Assads gehören, eher unentschlossen, ob eine Revolution der richtige Weg ist. Eindeutig ist: Richtige Reformen wären ihnen lieber. Selbst jenseits der Grenzen, beim Erzfeind Israel, könnte die Sorge vor einem destabilisierten Syrien in einem womöglich langen Bürgerkrieg mit unsicherem Ausgang größer als die Schadenfreude sein, Assad in Bedrängnis zu sehen.

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