© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

„Der Druck ist für uns schon sehr hoch“
Besuch in Oppeln: Die deutsche Volksgruppe im Spannungsfeld zwischen Polentum und schlesischer Autonomiebewegung
Hinrich Rohbohm

Die Inschrift ist nicht leicht zu erkennen. Doch sie ist wieder da. Sichtbar geworden, nachdem sie 64 Jahre lang eingemörtelt gewesen war. „Des Bürgers Treu mit Fleiß gepaart ein Jungborn guter deutscher Art“ steht in Großbuchstaben an den Rand des Monumentalbrunnens auf dem Friedrichsplatz von Oppeln geschrieben.

Wieder sichtbar gewordene Fragmente aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, nach dessen Ende die Deutschen aus ihrer oberschlesischen Heimat vertrieben wurden und alles Deutsche entfernt worden war. Nur wenige sind geblieben. Viele dieser wenigen leben in der heutigen Woiwodschaft Oppeln. „Hier gibt es Gemeinden, in denen Deutsche heute noch die Mehrheit der Einwohner stellen“, sagt Oliver Grzimek, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Menschenrechtsverletzungen in Ostdeutschland (AGMO), der in Groß Strehlitz ein polnisches Unternehmen leitet.

Wie viele Deutsche in Oberschlesien tatsächlich leben, ist umstritten. Doch das könnte sich nun ändern. Am 1. April beginnt in Polen die EU-Volkszählung. Ein für Oberschlesien brisanter Vorgang. Denn obwohl die von antideutschen Repressionen gekennzeichnete kommunistische Diktatur in Polen seit 20 Jahren vorbei ist, fürchten sich noch immer zahlreiche Deutsche, sich zu ihrer Nationalität zu bekennen. „Deshalb sagen viele, sie seien Schlesier“, erklärt Robert Kampa, mit 20 Jahren jüngstes Mitglied des Gemeinderates von Alt Poppelau, einer 8.500-Seelen-Gemeinde nordwestlich von Oppeln. Die deutsche Volksgruppe stellt hier acht der insgesamt fünfzehn Ratssitze.

Laut der letzten Volkszählung im Jahr 2002 leben in der Woiwodschaft Oppeln knapp 107.000 Deutsche, was einem Anteil von gut zehn Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Es könnten auch weitaus mehr sein. Allein 173.000 Bürger gaben als Nationalität den nicht anerkannten Begriff „Schlesier“ an. Die AGMO vermutet darunter auch zahlreiche Deutsche und fürchtet, daß dieser Trend bei der kommenden Zählung anhalten könnte.

Nicht zuletzt deshalb stoßen die derzeit zunehmenden Aktivitäten der Bewegung für die Autonomie Schlesiens (RAS) bei den gut 350 Deutschen Freundschaftskreisen (DFK) und ihren rund 40.000 zahlenden Mitgliedern auf ein geteiltes Echo. Die RAS war im Januar 1990 gegründet worden. Ihren Schwerpunkt hat die Organisation in der Region um Kattowitz, wo sie seit den letzen Kommunalwahlen auch parlamentarisch vertreten ist (JF 2/11). 7.000 Mitglieder zählt die Bewegung, von denen 200 aus der Woiwodschaft Oppeln kommen. Ihr Ziel: Ein Autonomiestatus für Oberschlesien. „Bis 2020 wollen wir das erreicht haben“, sagt RAS-Vorstandsmitglied Peter Dlugosch. Dafür müsse jedoch die polnische Verfassung geändert werden.

Ein Vorhaben, dem der deutsche Rücksiedler Waldemar Kaluza wenig Chancen einräumt. „Polen wird einer Autonomie niemals zustimmen, dafür ist die Region von zu großer wirtschaftlicher Bedeutung“, ist der Inhaber eines mittelständischen Betriebs in Groß Strehlitz überzeugt. Vielmehr befürchtet er, daß sich die Listen der Autonomiebewegung und der deutschen Volksgruppe bei zukünftigen Wahlen gegenseitig Stimmen wegnehmen könnten. „Anfang der neunziger Jahre hatte die deutsche Volksgruppe sieben Sitze im Sejm. Heute ist es nur noch einer“, kritisiert Kaluza.

Auch Thomas Kosyk sieht das Aufkommen der Autonomiebewegung für die deutsche Volksgruppe problematisch. Weil sich Deutsche in Oberschlesien starkem Druck durch die polnische Bevölkerung ausgesetzt sehen, werde der schlesische Gedanke als Alternative angenommen. „Angehörige deutscher Volksgruppen sagen dann: Das ist etwas für mich, es besteht keine Gefahr“, erklärt das 29 Jahre alte Mitglied im Verein deutscher Hochschüler zu Oppeln (VDH). Das aber wirke sich auch negativ auf die deutsche Sprache aus. „In unserer Elterngeneration war es durch den Kommunismus ja praktisch nicht mehr möglich, Deutsch zu sprechen“, sagt Kosyk. Er selbst habe von seinen Eltern zwar noch die Muttersprache gelernt. Doch das sei längst nicht in allen Familien der Fall gewesen. „Wenn Sie in der Öffentlichkeit über all die Jahre Deutsch nicht mehr sprechen dürfen, dann geht die Sprache mit der Zeit verloren“, führt Kosyk aus. Ein Umstand, der dazu geführt habe, daß die Elterngeneration heute eher eine schlesische Mundart spricht: das sogenannte Wasserpolnisch.

Geht es nach der schlesischen Autonomiebewegung, dann soll Wasserpolnisch als eigenständige schlesische Sprache anerkannt werden. „Dabei ist das nur eine Mundart, die in jedem Dorf anders gesprochen wird“, kritisiert Kaluza, dessen Vater Erich Kaluza das AGMO-Büro in Oppeln leitet.

Deutschland werde von den Polen noch immer als Kriegsnation angesehen, erklärt Thomas Kosyk und beginnt von einer Begebenheit zu erzählen, die er selbst im Kindergarten erlebt hatte. „Wir hatten polnisch-nationalistische Lieder und Gedichte gelernt. Ein Gedicht war von Maria Konopnicka.“ In der dritten Strophe heißt es da: „Nicht mehr wird der Deutsche uns spei’n ins Gesicht, die Kinder uns nicht germanisieren“. „Als Deutscher fühlte ich mich da extrem unwohl“, gesteht Kosyk.

„Wenn Sie als Tourist oder als Gewerbetreibender nach Polen kommen, werden Sie freundlich aufgenommen. Aber als ethnischer Deutscher in Oberschlesien zu leben ist etwas vollkommen anderes“, weiß auch Ratsherr Robert Kampa von unangenehmen Situationen zu berichten. „Der Druck ist für uns schon sehr hoch“, bestätigt auch Joanna Mrohs, Pressesprecherin des Verbandes der Sozial-kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien (SKGD). Erst vor kurzem sei wieder ein deutsches Ortsschild zerstört worden. Die Schilder mit deutscher Ortsbezeichnung sind erst seit einigen Jahren zugelassen. Oft werden sie beschmiert, beschädigt oder ganz entwendet.

Ein mit Unterstützung der AGMO im vorigen Jahr in Goslawitz eingeweihtes Kriegerehrenmal für gefallene deutsche Soldaten des Ersten Weltkriegs sei mit Eiern beschmissen worden, erzählt Oliver Grzimek, der sich trotz dieser Umstände ein selbstbewußteres Auftreten der deutschen Volksgruppe wünscht, um ihre Minderheitenrechte einzufordern.

So fordert die AGMO die Einrichtung von Grundschulen und Kindergärten, in denen ausschließlich Deutsch gesprochen werde, während SKGD-Pressesprecherin Mrohs auf Zweisprachigkeit setzt.

Peter Dlugosch, selbst Deutscher, sieht hingegen für dieses Selbstbewußtsein und die Durchsetzung von Forderungen gerade bei der Schlesierbewegung Chancen. „Wir wollten beispielsweise gemeinsam mit der deutschen Volksgruppe ein Gedenken für die Opfer der Roten Armee durchsetzen. In Kattowitz waren wir damit als Schlesier mehrheitsfähig. Dagegen hat die deutsche Volksgruppe damit zu kämpfen, daß man ihr nach wie vor die Kriegsschuld zur Last legt“, erläutert Dlugosch, der betont, daß ein Unrecht nicht mit einem anderen legitimiert werden könne.

Manchmal aber gehen kulturelle Zeugnisse vergangener Tage ihren ganz eigenen Weg. So wie bei diesem Brunnen auf dem Friedrichsplatz von Oppeln. Nachdem Oppeln 1945 unter polnische Verwaltung gekommen war, wurden alle deutschen Schriften entfernt. Auch der Spruch am Brunnen. Doch als vor zwei Jahren bei Renovierungsarbeiten der Schriftzug wieder zum Vorschein kam, entschied der Stadtpräsident, ihn zu belassen und vollständig wiederherzustellen.

www.dfkschlesien.pl

http://agmo.de

www.vdh-oppeln.pl

www.tskn.vdg.pl

http://autonomia.pl

Foto: Oppeln: Monumentalbrunnen auf dem Friedrichsplatz / Stolze Schlesier: Waldemar und Erich Kaluza, Oliver Grzimek (v.l.n.r.) mit dem schlesischen Wappen

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