© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Namenlose Wesen
Unbekannter als die Rückseite des Mondes: Tiefsee-Ausstellung in Dresden
Sebastian Hennig

Nachdem sich der Bergbau zu Lande tief in die Erdgeschichte eingewühlt hat und auf der Suche nach konzentrierten Brennstoffen, Salz und Erz ganze vorzeitliche Ozeanbecken ausgeräumt wurden, ist nun seit einiger Zeit weitgehend unbemerkt in den Tiefen der heutigen Meere ein neuer Schauplatz für den Kampf um die Rohstoffe eröffnet worden. Ein Geflecht von Rohrleitungen und Pumpen überzieht den Meeresboden vor der afrikanischen Küste.

In bis zu 3.000 Metern Tiefe installieren Roboter die Fördersysteme, während der Polier die automatisierte Arbeitskolonne vom Trockenen aus dirigiert. Dabei kann es geschehen, daß er auf den Monitoren Wesen den feuchten Bauplatz queren sieht, für die noch kein Zoologe einen Namen gefunden hat und die dennoch so wirken, als hätte der Hieronymus Bosch sie vor einem halben Jahrtausend schon nach der Natur auf seine visionären Bilder gemalt. Einen Maschinenpark wie die Ölkonzerne können sich die Forscher nicht leisten. Vermutlich wird da unten vieles im Vorbeigehen liquidiert, bevor es entdeckt, untersucht und beschrieben werden konnte.

Nachdem die traditionellen Fanggründe erschöpft sind, werden auch die Netze der Fischereiflotten immer tiefer geschleppt. Und der anfallende Beifang würde den Neid so manchen Forschers erwecken. Außerdem entwickeln sich die Lebewesen der Tiefe deutlich langsamer, so daß die Regeneration des Entnommenen ein noch größeres Problem darstellt.

Ende der siebziger Jahre wurden heiße Quellen in der Tiefsee entdeckt, Unterwasservulkane voller metallhaltiger und giftiger Lösungen, die dennoch nicht lebensfeindlich wirken. Wasser tritt dort in Temperaturen von 400°C aus, die nur wegen des hohen Drucks überhaupt möglich sind, und auf das 2°C kalte Wasser der Umgebung treffen. Nach zwei Jahren sind die Schlote bereits von den Ablagerungen verstopft. Während der aktiven Zeit bieten sie vielen Lebewesen eine Oase. Es finden sich dort augenlose Krabben, Seesterne, Würmer und Muscheln. Diese ungewöhnliche Tatsache hat Forscher schon zu neuen Theorien über die Entstehung des Lebens angeregt. In der Dresdner Tiefsee-Ausstellung ist ein solcher „Schwarzer Raucher“ mit seinen Gästen als Diorama nachgebildet. Außerdem gibt es Nachbauten von Tauchfahrzeugen und -behältern.

Die Inszenierung im Obergeschoß des Japanischen Palais ist in geheimnisvolles Dunkel getaucht. Ein sieben Meter langer Pottwal und ein Riesenkalmar in Originalgröße hängen unter der Decke. Bis vor hundertfünfzig Jahren herrschte die allgemeine Ansicht, daß unterhalb von einem halben Kilometer Tiefe kein Leben mehr zu erwarten sei. Erst 1873 brachte die vier Jahre dauernde Weltreise der britischen Korvette „Challenger“ die Erkenntnis des riesigen Lebensraumes der Tiefsee. Als mißgönnte man dem Meer seine Bevölkerung, zog man sich danach auf die Behauptung zurück, nur der Meeresboden sei besiedelt, die tieferen Wasserschichten ohne Lebewesen.

Der wissenschaftliche Leiter der deutschen „Valdivia“-Expedition Carl Chun konnte 1899 mit raffinierten Spezialnetzen nachweisen, daß eine umfangreiche pelagische Fauna existiert und der Plankton zwischen Oberfläche und Grund im Zyklus der Jahreszeiten vertikale Wanderungen unternimmt. Ein Füllhorn von Präparaten, Proben, Zeichnungen und Aquarellen nie zuvor gesehener Wesen brachte der umgebaute Hapag-Dampfer von seiner neunmonatigen Reise durch den Atlantischen und Indischen Ozean zurück. Die Auswertung in 24 Bänden sollte bis 1940 dauern.

Die Dresdner Ausstellung wurde durch die Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Zusammenarbeit mit dem Naturhistorischen Museum Basel gestaltet. Neben Frankfurt und Basel war sie bisher auch in London und Berlin (JF 42/09) zu sehen. Zum jetzigen Ausstellungsort gibt es eine thematische Verbindung. Die deutsche „Valdivia“-Expedition wurde von Dresden aus geleitet und vorbereitet. Viele hervorragend erhaltene und seltene Exponate stammen aus den Archiven der Naturhistorischen Sammlungen Dresden. Das Dresdner Institut mit dem Museum für Tierkunde und dem Museum für Mineralogie und Geologie gehört seit drei Jahren zur Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung.

Über die Beschaffenheit des tiefen Meeresbodens weiß man immer noch deutlich weniger als über die Rückseite des Mondes. An der Kartierung der weiten Flächen wird noch gearbeitet. Allein der Meeresboden nimmt doppelt soviel Fläche ein wie alle Kontinente zusammen.

Die Tiefsee-Ausstellung ist bis zum 31. August in den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen im Japanischen Palais, Dresden, Palaisplatz 11, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 51 / 79 58 41 43 26

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen