© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Die ewige Cleopatra
Archetyp: Nachruf auf die unvergleichliche US-Schauspielerin Elizabeth Taylor
Harald Harzheim

Ihre größte Rolle war zugleich ihre größte Pleite: Der Monumentalfilm „Cleopatra“ (1963), ein theatralisch-zäher Dreistünder, verschlang Millionen und floppte. Trotzdem ist Elizabeth Taylor im kulturellen Gedächtnis mit der ägyptischen Königin verschmolzen, während erfolgreichere Interpretinnen dieser Rolle – Theda Bara, Claudette Colbert, Vivien Leigh – in Vergessenheit fielen. Tatsächlich ist Cleopatra die mythologische Pointierung ihres Archetyps; Camille Paglia beschrieb sie als heidnische Naturkraft, die harmlosen US-Blondchen im Film und privat die Männer stahl.

Nach einer frühen Karriere als Kinderstar gelang der am 27. Februar 1932 geborenen Elizabeth Rosemond Taylor problemlos der Übergang ins Erwachsenen-Rollenfach. Die junge Diva erfüllte ästhetische Ursehnsüchte: „Nichts in der Welt war so weiß wie dein Leib. Nichts in der Welt war so schwarz wie dein Haar“, ließ Glamour-Experte Oscar Wilde seine „Salome“ schwärmen. Hollywoods Kameramänner stimmten dem zu, setzten in Taylors frühen Schwarzweißfilmen auf den Kontrast milchweißer Haut mit schwarzem Haar.

Mit den ersten Technicolorfilmen badete das Publikum im Blau ihrer Augen, und blutrote Lippen vollendeten die Farbpalette der Leidenschaft. Sie war die Aristokratin, die in Staubwüsten unter wilde Männer geriet, zwischen James Dean und Rock Hudson beipielsweise („Giants“, Giganten, 1955). Schließlich brach die Femme fatale aus, die Montgomerie Clift mit blitzenden Augen zum Mord verführt („The Place in the Sun“, Ein Platz an der Sonne, 1951) oder ihn im Südstaaten-Drama „Raintree County“ (Das Land des Regenbaums, 1957) finanziell und psychisch ruiniert.

In „Cat on a Hot Tin Roof“ (Die Katze auf dem heißen Blechdach, 1958) kämpft sie als Maggie mit allen Tricks um die Erbschaft ihres tödlich erkrankten Schwiegervaters, zugleich deutete das Titelsymbol der Katze, ein heiliges Tier im frühen Ägypten, auf die baldige „Cleopatra“-Darstellung. Dennoch war sie kein „Dämon“, sondern jenseits moralischer Kategorien, sich selber nie in Frage stellend. Taylors Charisma machte es dem Publikum unmöglich, ihre Charaktere zu hassen. Sie bestätigte Nietzsches Diktum, daß nicht Moral, sondern nur Schönheit dem Dasein Rechtfertigung verleiht.

Der Pop-art-Künstler Andy Warhol schuf 1962 mehrere Siebdruck-Ikonographien über Hollywoods neue Gott-Königin. Aber selbst diese Zuspitzung ließ sich nochmal steigern. Seltsamerweise ignorieren Taylor-Fans wie Camille Paglia die Szene aus John Hustons „Reflections in a Golden Eye“ (Spiegelbild im goldenen Auge, 1967), in der Taylor als Offiziersfrau vor ihrem impotenten Mann (Marlon Brando) strippt, ihn dabei für sein Unvermögen verhöhnt und droht: Daß alle Untergebenen ihn verspotteten, wenn sie, als nackte Frau, ihn jetzt aus dem Haus schmisse. Dann steigt sie lachend, mit aristokratischen Schritten die Treppe hinauf.

Regisseur Huston filmte diese Szene, ganz in Goldton getaucht, als Spiegelung im Auge eines Beobachters, bis zum Alptraum verfremdet. Deren Dynamik ist unvergleichlich: Die Macht des Chthonischen (ihr Körper), die Qual unerfüllbarer Triebe (seine Impotenz), die brutale Beschämung, die Drohung mit sozialer Degradierung (vor den Soldaten) – nie wurde die finstere Seite des Sexus mit solcher Intensität gezeigt. Schwer vorstellbar, daß ein Jahr später die sexuelle Revolution begann, die das Erotische als schmerzfreies Spielchen feierte.

In der zweiten Hälfte ihrer Karriere genoß Elizabeth Taylor die Dekonstruktion des eigenen Mythos. Seit Shakespeares „Antonius und Cleopatra“ erzählt man die Begegnung zwischen dem Römer und der Ägypterin als tragische Liebesgeschichte, als antike Version von Romeo und Julia, die im Tod endet.

Aber Elizabeth Taylor verliebte sich auch privat in Antonius-Darsteller Richard Burton. Sie heirateten zweimal und zeigten dem Publikum: Ehe kann grauenhafter sein als jeder Liebestod. Sie soffen und prügelten sich grün und blau, füllten damit nicht nur Klatschseiten, sondern brachten ihren Wahnsinn auch auf die Leinwand, spielten sich selbst in der Albee-Verfilmung „Who’s Afraid of Virginia Woolf?“ (Wer hat Angst vor Virginia Woolf?, 1966) als zerrüttetes Paar zwischen Alkohol und Schlägen. Taylors Selbstzerstörung traf auch ihre einst perfekte Figur, mit Freßorgien bließ sie sich auf zum Ballon. Selbst ihre acht Ehen erschienen als Parodie ihres männerfressenden Diven-Images.

Dennoch mißlang die Entmythologisierung: Mehrfach brach sie zusammen, gelangte viermal ins Stadium des Nahtodes, stand nur einen Schritt vor der Hadespforte und – kehrte um, kam durch, feierte Auferstehung. „Auf merkwürdige, mythische Weise scheint ihr diese Begegnung mit dem Tod Göttlichkeit verliehen zu haben“ (Paglia).

Nach dem Aids-Tod ihres Freundes Rock Hudson gründete sie die Elizabeth Taylor Aids Foundation. Wieder stand sie mit der dunklen, tödlichen Seite des Eros in Verbindung, wenn auch in helfender Funktion: Niemand in den USA sammelte soviel Spendengeld zur Bekämpfung der Seuche wie Taylor.

In den letzten 25 Jahren pflegte sie eine tiefe Bindung mit dem Pop-Musiker Michael Jackson, auch er mythologisch überhöht, emotional zerstört, durch kosmetische Eingriffe verunstaltet. Beide, aufgeladen mit unerfülltem Liebeswunsch, bildeten ein platonisches Paar. Als Jackson vor zwei Jahren starb, brach Elizabeth Taylor zusammen.

Am 23. März nun endete auch ihr Leben. Sie ruht jetzt mit Michael Jackson auf dem gleichen Friedhof. Der „King of Pop“ neben der Königin von Ägypten. Archetypen kennen keine Zeitgrenzen.

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