© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Der Theatermacher
Politisierender Moralist: Der Dramaturg, Essayist und Lyriker Rolf Hochhuth wird achtzig
Thorsten Hinz

Vor knapp fünfzig Jahren hat Rolf Hochhuth sich gleich mit seinem ersten Theaterstück, „Der Stellvertreter“, einen Platz in der deutschen Literaturgeschichte erschrieben, den keiner ihm mehr nehmen kann. Sein Bild von Papst Pius XII., der die nationalsozialistische Judenverfolgung mit Desinteresse quittiert, ist zwar historisch unhaltbar, doch es entsprach und entspricht den Ressentiments der Vergangenheitsbewältigung, die sich damals – kurz nach dem Eichmann-Prozeß 1961 – durchzusetzen begann.

Hochhuth, 1931 in Eschwege geboren, gelernter Buchhändler, später Verlagslektor, hat eine Fülle weiterer Theaterstücke und literarischer Texte nach dem einmal erprobten Skandalrezept verfertigt. Der Roman „Eine Liebe in Deutschland“ führte 1977 zum Rücktritt des baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Hans Filbinger, der als Marinerichter während des Krieges an Todesurteilen mitgewirkt hatte. Hochhuth schimpfte ihn einen „furchtbaren Juristen“.

Das waren journalistische Coups, die sich nicht beliebig wiederholen lassen. Die meisten seiner Werke sind heute vergessen. Das liegt auch an Hochhuths vorsintflutlicher Theaterästhetik. Ausdrücklich gegen Theodor W. Adorno gerichtet, benannte er den „individuellen Menschen“ als den Ausgangspunkt seiner Kunst. Dem entsprach seine Vorliebe für die großen Gestalten der Geschichte, die das Schicksal der Welt in den Händen zu halten scheinen.

Adorno erwiderte, daß Hochhuths Subjekte in Wahrheit nur noch Objekte seien, im übrigen aber hohl und scheinhaft. Die „Absurdität des Realen“ dränge auf eine Form, „welche die realistische Fassade zerschlägt“. Die „Beckettschen Menschenstümpfe“ seien daher allemal realistischer als der naive Versuch, den Schein beim Wort zu nehmen und realistisch abzubilden.

Hochhuths Dramen bestätigen diesen Befund. Die Theaterfiguren schöpfen ihre Bedeutung nicht aus sich selber, sondern werden vom Autor mit politischen und historischen Diskursen überbefrachtet und ergehen sich pathologischer Mitteilungsbeflissenheit. Das Bühnenereignis ist ein politisches, kein künstlerisches. Selbst das SED-Zentralorgan Neues Deutschland monierte anläßlich der DDR-Premiere des Stücks „Die Juristen“ im April 1980, Hochhuth verwechsele „die Bühne zu oft mit dem Katheder“. Mehr und mehr näherte er sich dem größenwahnsinnigen Theatermacher aus Thomas Bernhards gleichnamigem Stück an, der auf der Bühne „Das Rad der Geschichte“ drehen will.

Hochhuth, der sich als Vorkämpfer der Aufklärung versteht, wurde 2005 von deren Dialektik, von der „dialektischen Verschlingung von Aufklärung und Herrschaft“ (Adorno), eingeholt. Was er zur Rationalisierung und Widerlegung geschichtlicher Mythen glaubte beigetragen zu haben, trat ihm nun selber als Mythos gegenüber, der drohend Unterwerfung verlangte. In einem für bundesweites Aufsehen sorgenden Interview mit dieser Zeitung (JF 8/05) hatte er den englischen Historiker David Irving einen „fabelhaften Pionier der Zeitgeschichte“ genannt – was dieser auf seine Weise zweifellos ist. Daraufhin beschuldigte der damalige Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, diesen Aufklärer über die Judenverfolgung, den Holocaust leugnen zu wollen. Es war beklemmend, den Ankläger in die Position des Angeklagten versetzt zu sehen, der ängstlich um seine Gesellschaftsfähigkeit barmte. Nachdem Hochhuth anfangs seine Äußerung noch verteidigte, nahm er sie schließlich nach tagelangem Medienbeschuß als „idiotisch“ wieder zurück und entschuldigte sich dafür. Hochhuth damals wörtlich: „Ich muß mich für diesen Satz schämen.“

Ungeachtet dieser Episode mag ihm ein Platz in der Literaturgeschichte als politisierender Moralist zustehen, nicht jedoch als großer Dichter.

Am 1. April wird Rolf Hochhuth achtzig Jahre alt.

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