© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/11 01. April 2011

Blick in die Medien
Soziale Netzwerke: erst top – jetzt flop?
Toni Roidl

Tratsch gehört zum Menschen. Früher wurde auf dem Schulhof gelästert oder „Claudia R. ist doof“ an die Tafel gekritzelt. Es wäre niemandem eingefallen, das Lästern unterbinden zu wollen, indem der Schulhof gesperrt oder die Tafel abgehängt wird. Das ist heute anders.

Heute wird virtuell gelästert, im Internet. Zum Beispiel auf www.isharegossip.com. „I share gossip“ heißt etwa „Ich tratsche es weiter“. Und darum geht es hier: Anonyme Lästermäuler ziehen über Mitschüler, Kollegen oder Nachbarn her.

Doch jetzt kommt das Tratschportal selbst ins Gerede. In Berlin wurde ein türkischer Schüler von einer Meute türkischer und libanesischer Jugendlicher zusammengetreten, nachdem er einen Zickenkrieg schlichten wollte, den seine Freundin mit Rivalinnen auf isharegossip austrug. Der Vorfall schaffte es nur mühsam in die Presse. Erst nach Tagen berichtete die FAZ ohne Nennung der Nationalitäten. Der Tagesspiegel rang sich zur Andeutung „Täter aus Einwandererfamilien“ durch (Schweden? Japaner?), Welt und Spiegel legten schließlich die Karten auf den Tisch.

Und jetzt wird durchgegriffen! Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) ruft zum Krisentreffen, verspricht „harte Schritte“ und „sagt den Kampf an“, posaunt die BZ. Aber nicht gegen tollwütige orientalische Mobs, sondern gegen die Internetseite! Psychologen nennen diese verzerrte Wahrnehmung den „Dritte-Person-Effekt“. Das ist wie diese sinnlosen Debatten nach Amokläufen: Mal waren Killerspiele, mal Heavy-Metal-Musik schuld. Die eigentlichen Ursachen lassen sich so unter den Tisch kehren.

Zöllner will nun „entschlossen gegen Cyber-Mobbing vorgehen“. Das ist ja auch leichter – und wesentlich ungefährlicher –, als sich mit gewalttätigen Araberclans anzulegen. Auf der virtuellen Klowand isharegossip stottert derweil Nutzer „Abicim“: „Ich f**** euch alle, ihr miistgeburten!“ Besser im Internet als in der U-Bahn.

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