© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Störfall im Kanzleramt
Die Krise der Liberalen beschert Deutschland eine handlungsunfähige Allparteien-Regierung
Kurt Zach

Ihre beste Zeit hat diese Bundesregierung schon hinter sich. Wahrscheinlich weiß nicht einmal Angela Merkel selbst mehr, was sie mit der Restlaufzeit ihrer einstigen „Wunschkoalition“ noch anfangen soll. Außer natürlich, auch nach 2013 noch Kanzlerin zu sein – mit welchem Partner auch immer. Einiges spricht dafür, daß der Mehrheitsbeschaffer der Union, sollte sie noch einmal die Regierung in Berlin bilden, dann nicht mehr FDP heißen wird.

Wer immer der Nachfolger von Guido Westerwelle als „Vizekanzler“ und vielleicht auch demnächst als Außenminister sein wird: Die betreffende Person wird ebenso eine „lahme Ente“ sein, wie es der unter dem Druck sich häufender Wahlniederlagen von der eigenen Partei zurückgestufte Noch-Inhaber dieser Positionen seit geraumer Zeit schon ist. Denn die schwarz-gelbe Koalition ist seit ihrem Scheitern in Baden-Württemberg auch im Bund ein Auslaufmodell, das wohl so bald keine Neuauflage mehr erleben dürfte.

Die knapp fünfzehn Prozent, mit denen Westerwelle der Union vor anderthalb Jahren aus dem 35-Prozent-Ghetto geholfen hat, sind verspielt. Bedauern muß man das wohl nur in engen Grenzen. Denn ein schwarz-gelbes „Projekt“ hat es nie gegeben: Abschaffung der Wehrpflicht, Frauenquoten für die Wirtschaft, panikartige AKW-Abschaltung samt nebulöser Verheißungen einer „Energiewende“ – dafür hätte man im Herbst 2009 nicht die SPD aus der Regierungsverantwortung wählen müssen. Wo die Reise hingeht, davon haben die letzten Tage eine erste Ahnung vermittelt: Nicht nur Überzeugungstäter wie Umweltminister Norbert Röttgen oder der nordrhein-westfälische Ex-„Integrations“-Minister Armin Laschet singen derzeit das Hohelied von der schwarz-grünen Koalition, auch die immer mal wieder als vermeintliche „Konservative“ gehandelte Familienministerin Kristina Schröder entdeckt ihre immer schon vorhandenen Sympathien für den „bürgerlichen Flügel“ der Grünen, deren „Lebensstil“ und „Debattenkultur“.

Daß Angela Merkel in ihrem längst schon wieder obsolet gewordenen „Herbst der Entscheidungen“ schwarz-grüne Koalitionen auf Bundesebene einmal als „Hirngespinste“ abtat, erscheint im nachhinein als taktisches Manöver. Geschwächt wie sie derzeit dasteht, wehrt sich die FDP nicht einmal gegen ihre prophylaktische Abservierung. Mit dem freihändigen Merkelschen Atomausstieg ist ein wesentliches Hindernis für eine schwarz-grüne Allianz beseitigt – und der FDP fällt nichts Besseres ein, als dieser Kehrtwende, die ihre eigene Überflüssigkeit zementiert, opportunistisch hinterherzuhecheln.

Etwas anderes bleibt den Liberalen allerdings kaum übrig, wollen sie die Koalition nicht platzen lassen, um in der Opposition wieder Statur als freiheitliches Gegengewicht zum quer durch alle Parteien grassierenden Sozialdemokratismus zu gewinnen. Für diesen Ausweg reicht der Mut bei keinem der augenblicklich als Westerwelle-Nachfolger gehandelten Kandidaten. Angela Merkel hat also freie Hand für den nächsten Linksruck: Der „konservative Flügel“ der Union, in dessen Namen in periodischen Abständen einzelne Landespolitiker immer mal wieder vor drohendem „Profilverlust“ warnen, wird mehr und mehr zur medialen Schimäre, mit der in die inhaltliche Beliebigkeit bei CDU und CSU ein wenig Spannung hineingeschrieben werden soll. Selbst das Bonmot von der „programmatischen Kernschmelze“ ist noch zu hoch gegriffen: Wo wäre der Kern, der da schmelzen könnte?

Als Korrektiv hat die FDP schon vorher versagt. Nichtlinke, marktwirtschaftliche, das Recht der Bürger auf Freiheit von staatlicher Ausbeutung und Entmündigung betonende Wortmeldungen kamen bislang zwar allein von den Liberalen. Ernst gemacht haben sie damit aber faktisch nie. Aus den versprochenen Steuersenkungen wurde nichts, weil keiner sich an die größte Geldvernichtungsmaschine herantraut: die Sozialindustrie. Wirtschaftsminister Brüderle, der als Ordnungspolitiker immerhin die Verschwendung von Steuergeldern für eine vermeintliche Opel-„Rettung“ verhindern konnte, hat seine rheinland-pfälzische Machtbasis verloren und ist wohl ebenfalls ein Auslaufmodell.

Bei der wohl folgenschwersten Merkelschen Fehlentscheidung, der scheibchenweisen Auslieferung Deutschlands an die Euro-Transfer-union zur dauerhaften Ausplünderung, wurden die durchaus vorhandenen fundierten Einwände aus den Reihen der FDP am Ende gar nicht mehr ernsthaft formuliert, es blieb beim Grummeln unter der Bettdecke.

Wenn der Koalitionspartner der Kanzlerin schon nicht beim Aussitzen und Umfallen dazwischenfährt, die eigene Partei ist dazu erst recht nicht in der Lage. Die letzten potentiellen Rivalen sind inzwischen in die Bauwirtschaft entsorgt wie Roland Koch, im Bundespräsidialamt endgelagert oder über das eigene freiherrliche Blendertum gestolpert. Frau Merkel kann sich in den nächsten zweieinhalb Jahren ihrer Kanzlerschaft ungestört in ihrer Lieblingsdisziplin üben: der Entscheidungsvermeidung im schwarz-gelb-grün-roten Dauerkompromiß, den ihr in vielen Fällen schon die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat aufzwingen werden.

Deutschland droht die politische Dauerlähmung. Und das in einer Zeit, in der Euro-Zerfall und Staatsschuldenkrise, maghrebinische Flüchtlingsströme, das Integrationsdesaster und der Vormarsch des organisierten Islam in Deutschland, die Sicherung der Energieversorgung und die ungelöste Frage nach der Zukunft der Landesverteidigung mehr denn je nach Führungskraft und Entscheidungswillen verlangen. Die Abwägung der Schicksalsfragen, die hinter diesen Herausforderungen stehen, wird weiter in Allparteien-Kompromißsoße ertränkt werden. Nicht nur die schwarz-gelbe Koalition, das gesamte deutsche Parteiensystem hat abgewirtschaftet.

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