© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Cora Stephan paßt in keine Schublade. Nun wird die Ausnahmepublizistin sechzig
Der wache Blick
Ellen Kositza

Einen wachen Blick haben, das bedeutet im besten Fall nicht nur, die Dinge zu sehen wie sie sind, sondern Entwicklungen zu begreifen, bevor sie abgeschlossen sind. Cora Stephan kann man in diesem Sinne als hellsichtige Frau bezeichnen. Auch wenn im Fall Angela Merkel ihre Einsicht beziehungsweise Enttäuschung, der sie soeben in einem aktuellen Buch (JF 12/11) Luft gemacht hat, ausnahmsweise erst später kam.

Doch mit den Themen, die sich die scharfzüngige Publizistin sonst wählt, und erst recht mit ihren Wertungen pflegt sie ihrer Zeit voraus zu sein: Irrwege des Feminismus spießte sie auf, bevor Emanzenschelte in den Leitmedien hoffähig wurde, die umgreifende Sexualisierung nahm sie aufs Korn, als andere gerade erst auf jenen „Befreiungs“-Zug aufsprangen, und dem Gefühlssprech öffentlich weinender Politiker widmete sie sich („Der Betroffenheitskult“, 1993), als die Rede vom „Gutmenschen“ längst nicht etabliert war. Über Infantilisierungstendenzen und die Eigenheiten des globalisierten Linksspießertums („Die neue Etikette“, 1995) schrieb sie, bevor die Klage über öffentliche Telefonate in aller Munde war. Sogar der Volltextsuche in elektronischen Datenbanken widmete sie in den achtziger Jahren einen vorausschauenden Artikel – da war das World Wide Web beinahe noch eine Utopie.

1951 bei Osnabrück geboren, studierte Stephan Politik, VWL und wurde in Geschichte promoviert. Hernach dozierte sie an der Frankfurter Goethe-Universität, arbeitete beim Rundfunk, beim Spiegel und dem Sponti-Magazin Pflasterstrand. Als eingeborene Linke wird man Stephan dennoch kaum begreifen können, zuviel Selbstironie, zuwenig Hysteriebereitschaft wohnte ihrer Schreibe schon damals inne: eine freundliche Frau, der es nichts ausmacht anzuecken. Polemisch, doch ohne Entrüstung zu argumentieren, ist der Stil, der ihre Gegner rasend macht und dazu bringt, Stephan ins rechte Eck zu stellen. Welcher deutsche Publizist von Rang hätte es wie sie gewagt, „Das Handwerk des Krieges“ (1998) zu preisen, dort, wo es leidenschaftslos und in nationalem Interesse betrieben wird?

Seit 1999 reüssiert Stephan, zwischen Frankfurt, ihrem Landsitz im Vogelsberg und Südfrankreich pendelnd, unter dem Pseudonym Anne Chaplet erfolgreich als Krimiautorin. Ihr aktuelles Werk jedoch ist eine Zornesschrift und ein Abgesang – auf die Kanzlerin („Angela Merkel. Ein Irrtum“, 2011). Daß sie selbst einst auf deren Sachlichkeit und Kompetenz setzte, erscheint Stephan heute als fatale Fehleinschätzung – im Grunde seit Merkels Amtsantritt, endgültig aber seit Merkel Sarrazins Buch voreilig abqualifiziert hatte.

Es mag sein, daß nun die Restlaufzeit der Ära Merkel begonnen hat – Cora Stephan hätte auch dies in ihrer Philippika vorweggenommen. Am 7. April ist die Dame mit der flammend roten Mähne sechzig Jahre alt geworden; Irrtum naheliegend, doch ausgeschlossen.

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