© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Vom „Projekt 18“ zur spätrömischen Dekadenz
Parteikarriere: Zielsicher und machtbewußt hat Guido Westerwelle einst die Spitze der Liberalen erobert / Am Ende verließ den gefürchteten Debattenredner aber der Instinkt
Hans Christians

Vielleicht ist sein Ende als Parteivorsitzender so plötzlich gekommen, weil einige Leute eine offene Rechnung mit ihm zu begleichen hatten. Um Außenminister Guido Westerwelle wurde es in „seiner“ FDP in den vergangenen Wochen zunehmend einsam. Dies dürfte vor allem damit zusammengehangen haben, daß der Bonner Jurist zwar ein Erfolgsgarant, aber nie wirklich ein Publikumsliebling war. Und im Umgang mit innenpolitischen Gegnern hat er sich noch nie als zimperlich erwiesen.

Westerwelle trat 1980 der FDP bei, gründete drei Jahre später den Nachwuchsverband „Junge Liberale“ und schaffte bereits 1988 den Sprung in den Parteivorstand. Er galt von Beginn als politischer Ziehsohn Hans-Dietrich Genschers. Spätestens mit seiner Wahl zum Generalsekretär 1994 war seine Karriere als Spitzenpolitiker vorgezeichnet. Er „diente“ mehr oder weniger loyal den beiden eher biederen Vorsitzenden Klaus Kinkel und Wolfgang Gerhardt und war maßgeblich an der Erstellung des neuen Grundsatzprogramms beteiligt. Früh verbündete er sich mit Jürgen Möllemann, dem Vorsitzenden des einflußreichen Landesverbands in Nordrhein-Westfalen, der ebenfalls zu den Gegenspielern Kinkels und Gerhardts gehörte.

Als die FDP im Jahr 2000 in Nordrhein-Westfalen mit 9,8 Prozent ein fulminantes Comeback feierte, füllten Westerwelle und Möllemann die Säle. So war es keine Überraschung, daß der Generalsekretär kurz darauf nach der Macht griff und gegen Gerhardt aufmuckte. Im Mai 2001 wurde Westerwelle schließlich zum Bundesvorsitzenden der FDP gewählt. Gemeinsam mit Möllemann versuchte er der bis dato eher bürgerlich FDP eine populistische Note zu geben. So hob man das „Projekt 18“ aus der Taufe, und Westerwelle rief sich zum ersten Kanzlerkandidaten der FDP aus.

Doch die Männerfreundschaft endete mit der aufkommenden Antisemitismus-Debatte innerhalb der Partei. Möllemann hatte dem Ex-Grünen Jamal Karsli Asyl in der FDP-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag geboten, der zuvor deutliche Kritik an der Politik Israels geübt hatte. Westerwelle hat diese Vorgehensweise zunächst gestützt und auch Möllemanns Vorpreschen geduldet, als dieser während des Bundestagswahlkampfs 2002 ein Flugblatt verlegte, welches von der Öffentlichkeit als antisemitisch diskutiert wurde. Nach dem enttäuschenden Abschneiden (7,4 Prozent) und der immer lauter werdenden Kritik an Möllemann, distanzierte sich Westerwelle von seinem langjährigen Weggefährten und trieb diesen zum Parteiaustritt. Als Möllemann im Juni 2003 unter bis heute nicht gänzlich geklärten Umständen bei einem Fallschirmsprung zu Tode kam, wurde Westerwelle von der Trauerfeier ausgeladen.

Unter dem Ruf als eiskalter, machtbesessener Karrierist hatte er lange zu leiden. Dennoch führte er die FDP bei der Bundestagswahl im Jahr 2005 mit 9,8 Prozent zu einem neuen Höhenflug, gleichzeitig setzte eine nicht enden wollende Siegesserie bei Landtagswahlen ein. In den Folgejahren profilierte sich Westerwelle als Anwalt der Steuerzahler, als Vertreter einer klaren marktwirtschaftlichen Positionierung. Nachdem er von Wolfgang Gerhardt auch den Fraktionsvorsitz übernommen hatte, entwickelte er sich als Oppositionsführer zu einem gefürchteten Debattenredner.

Im Wahlkampf 2009 positionierte er die FDP hauptsächlich mit wirtschaftlichen Themen, so daß viele Beobachter davon ausgingen, Westerwelle werde im Fall einer Regierungsbeteiligung das Wirtschafts- oder Finanzministerium übernehmen. Daß er schließlich im Auswärtigen Amt landete, haben viele seiner Weggefährten als Fehler bezeichnet. Der Jurist galt als unvorbereitet, desinteressiert und wankelmütig. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit gab er in der Diskussion um die Vertriebenenpräsidenten Erika Steinbach keine gute Figur ab und beugte sich dem Druck der polnischen Regierung, welche einen Sitz Steinbachs im Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ verhindern wollte. Außenpolitisch gelang es Westerwelle kaum, Akzente zu setzen, dafür mischte er stark in der Innenpolitik mit und stieß mit seinen Äußerungen zur „spätrömischen Dekadenz“ bei der Hartz-IV-Gesetzgebung eine breite Debatte an. Seine Popularitätswerte gingen dennoch in den Keller. Zuletzt taugte er nicht mal mehr als Zugpferd im Wahlkampf.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen