© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Nach dem Weltkrieg der Geldkrieg
EU-Finanzpolitik: Beim Euro-Rettungsschirm ist Deutschland erneut der Verlierer / Politiker brechen ihre Versprechen
Wolfgang Philipp

Am 24. März hat der Europäische Rat die Gründung eines „Europäischen Stabilisierungsmechanismus“ (ESM) beschlossen, der notleidenden Staaten bis zu 500 Milliarden Euro „Kredite“ gewähren soll. Um diese 500 Milliarden Euro zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt aufzunehmen, benötigt der ESM das Spitzenrating „AAA“.

Dazu verlangen die Ratingagenturen eine „Übersicherung“, da nur wenige Euroländer (darunter Deutschland) noch als sichere Schuldner eingestuft werden. Vorgesehen sind 80 Milliarden Euro Bareinzahlungen und 620 Milliarden Euro Bürgschaften der 17 Eurostaaten. Auf Deutschland entfallen davon 27,1 Prozent. Es muß 22 Milliarden Euro in bar einzahlen und zugunsten derjenigen, die dem ESM Geld leihen, Bürgschaften bis zu 168 Milliarden Euro übernehmen (JF 10/11).

Bezogen auf die auszuleihende Maximalsumme von 500 Milliarden Euro sind das aber 38 Prozent. Die Übersicherung geschieht für den Fall, daß andere Staaten ihren Verpflichtungen nicht nachkommen. Deutschland haftet also auch noch für seine Mitbürgen. Dazu kommen noch weitere 22 Milliarden Euro, welche Deutschland schon vor Gründung des gegenwärtigen ESM in bar an Griechenland bezahlt hat. Insgesamt soll Deutschland mit rund 212 Milliarden Euro für die Schulden anderer Euroländer einstehen.

Diese ungeheure Summe macht deutlich, daß Deutschland nach zwei Weltkriegen wieder eine Art Krieg, diesmal einen „Geldkrieg“ verloren hat. Die 212 Milliarden Euro sind weit mehr als diejenigen Beträge, welche umgerechnet Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg an die damaligen Siegermächte bezahlt hat. Faktisch als Strafe dafür, daß es sich von anderen Euroländern in seiner Wirtschaftskraft abhebt, wird Deutschland auferlegt, weit über seine proportionale Beteiligung an den europäischen Gremien hinaus notfalls für 38 Prozent der Schulden anderer Länder beim ESM zu haften.

Neben dieser untragbaren „Geldkriegsschuld“ steht die Zerstörung der demokratischen Selbstbestimmung: Andere Länder und insbesondere Banken bestimmen über das Schicksal Deutschlands. Mit ihrer Haushalts- und Kreditpolitik können sie zur Förderung des eigenen Wohllebens Deutschland immer stärker belasten, bis auch dieses Land zusammenbricht und zunächst das Rating „AAA“ verliert.

Der Bundestag verzichtet auf seine Haushaltshoheit. Diese geht auf fremde Regierungen über, die keine von Deutschland ausgehende demokratische Legitimation besitzen. Die künftige staatsrechtliche Stellung Deutschlands innerhalb Europas erinnert mehr an ein Besatzungsstatut als an die Stellung eines selbstbestimmten Mitgliedes. Sein gutes Rating wird zum Fluch.

Bisher ist nicht offengelegt worden, welche Gründe eine deutsche Bundesregierung dafür hat, solche Verträge einzugehen. Das ist das eine. Eine andere Frage ist allerdings, ob dieser „Rettungsschirm“ funktionieren kann. Das fängt schon damit an, daß einige der 17 Eurostaaten ihre „Quote“ an Barzahlung und Bürgschaften nicht übernehmen können, weil sie selbst Hilfeempfänger sind. Des weiteren zeigt sich, daß hier Fachwissen nicht ausreichend eingesetzt wird. Die Zweckgesellschaft „Europäische Finanzstabilisierungsfazilität“ (EFSF, JF 48/10), deren Nachfolgeorganisation der ESM werden soll, wurde ursprünglich in Luxemburg mit einem Kapital von nur 31.000 Euro gegründet.

Was sind das für „Fachleute“, die es für möglich halten, auf dieser Basis ein Rad in der Größe von 440 Milliarden Euro (Ausleihvolumen des ESM) zu drehen? Die Antwort liegt jetzt auf dem Tisch. Es muß nicht ein Kapital von 31.000 Euro her, sondern ein solches von 80 Milliarden Euro, die durch Bareinzahlung zu belegen sind. Offen bleibt, was geschieht, wenn Staaten den übernommenen Verpflichtungen nicht nachkommen oder wenn auch in Deutschland das Volk den Aufstand probt.

Politische Erdbeben sind zu erwarten, denn so kann ein deutscher demokratischer Rechtsstaat nicht weiterbestehen. Auch darf bezweifelt werden, daß sich in der Welt auf die Dauer Geldgeber finden werden, die bereit sind, dem ESM Kredite zu geben. Denn nach Aufzehrung der Bareinlagen hängt dessen Kreditwürdigkeit allein von Staatsbürgschaften ab, deren Sicherheit fragwürdig ist.

Das Euro-System wird zusammenbrechen, wenn auch die letzten politisch Verantwortlichen endlich kapieren, was alle Fachleute längst wissen: Daß die reine Zufuhr von Liquidität in Milliardenhöhe an finanzschwache Länder niemals geeignet sein kann, diese auch zu sanieren. Die Zahlungen haben nur den Effekt, die drohende Insolvenz hinauszuschieben. Ohne eine massive Entschuldungskomponente ist kein Erfolg zu erzielen: Die bisherigen Bankkredite der Schuldnerstaaten werden nur durch Kredite des ESM abgelöst. Diese nimmt den Banken die Kreditrisiken ab und wird zum Schluß mangels Zahlungsfähigkeit der Schuldner auf den Ausleihungen sitzenbleiben.

Ganz ungeklärt ist auch die Frage, welche Stellung der ESM in der europäischen Währungspolitik einnehmen wird. Es handelt sich um eine Großbank, die allein 80 Milliarden Euro – solange sie nicht sofort gebraucht werden – anlegen und damit in das Finanzmarktgeschehen eingreifen muß. Ein neuer Konflikt zwischen Staatswirtschaft und Marktwirtschaft zeichnet sich hier schon ab.

Immer lauter ist die Frage zu stellen, was hier eigentlich gespielt wird und welche Kräfte die Fäden ziehen. Jedenfalls ist Berlin im Begriff, das Grundgesetz endgültig auszuhebeln, das solche Kreditgewährungen und Bürgschaften zur Rettung fremder Staaten nicht deckt. Selbst der Lissabon-Vertrag wird, wie die französische Außenministerin zugegeben hat, verletzt.

Der 24. März 2011 hat mit dem 30. Januar 1933 gemeinsam, den Anfang vom Ende des demokratischen Rechtsstaates in Deutschland zu markieren.

Foto: Euro-Flotte: Was sind das für  „Fachleute“, die es für möglich halten, ein Rad in der Größenordnung von 440 Milliarden Euro zu drehen?

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