© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Geräusche der Apokalypse
Demnächst im Kulturradio: Pendereckis Lukas-Passion
Sebastian Henning

Die Sekte der Neuen Musik erregte 1960 in Donaueschingen das Instrumentalwerk eines jungen polnischen Komponisten. In „Anaklasis“ des 1933 in Debica bei Krakau geborenen Krysztof Penderecki  mündete wie bei allen seinen Frühwerken das Spiel der Töne im Geräusch, damit getreu dem unerbittlichen Motto, daß nach den Grausamkeiten der ersten Hälfte des Jahrhunderts kein Vers, keine Harmonie mehr gestattet sei. Statt in Widersprüchen und Anfechtungen eine autarke Form für dieses Erlittene zu suchen, trug man die nihilistische Störung in das Zentrum der künstlerischen Sprache. Keine musikalische Deutung der gewaltsamen Verwerfungen war das Ziel, sondern man bastelte an der Tonspur des großen Panoramas der Pervertierung des Menschen. Penderecki schuf Instrumentalstücke wie „Threnos“ im Gedenken an die Opfer Hiroshimas und ein „Auschwitz-Oratorium“.

Mit der Bezeichnung Oratorium kündigt sich allerdings schon eine Berufung auf tradierte musikalische Formen an. Die Einsicht in die Überschätzung der Kreatur als Mittelpunkt des Guten wie des Bösen führte den Tonsetzer schließlich zu einer anderen Perspektive. Der Mann aus dem östlichen Mitteleuropa, der aufgrund seiner Erfahrung und auch seiner Isolation besonders wild und eindringlich diese amusische Doktrin künstlerisch umsetzte, verblüffte seine Anhänger sechs Jahre später dann mit einer Lukas-Passion. 1966 wurde die „Passio et more Domini nostri Jesu Christi secundum Lucam“ anläßlich der Siebenhundertjahrfeier des Domes zu Münster uraufgeführt.

Ein Tonsetzer muß zu Lebzeiten dafür Sorge tragen, eine Aufführungs-praxis seiner Werke mitzuprägen. So ist auch Penderecki ständig als Dirigent unterwegs. Erst zu Beginn des Jahres führte er im Leipziger Gewandhaus sein „Polnisches Requiem“ auf. Mit der Dresdner Philharmonie, dem Philharmonischen Kinderchor Dresden und dem Chor des Mitteldeutschen Rundfunks brachte er ein anderes seiner Hauptwerke nun Ende März im schütter besetzten Kulturpalast zum Erklingen.

Der lateinische Text ist zusammengesetzt aus dem Handlungsbericht des Lukas-Evangeliums, der immer wieder durch Hymnen, Sequenzen und Zitate aus den Psalmen unterbrochen und bestätigt wird. Ein Schauspieler rezitiert wie aus einem Logbuch den Bericht des Evangelisten. Die Zuhilfenahme eines Mikrofons ließ den Bericht noch nüchterner wirken. Auch die Musik bot eine von jeder Leidenschaft bereinigte Klangwelt, die in sich selbst kreist und in den tradierten Formschnörkeln ihre Kraft verstrudelt bis letztlich nur noch Lautstärke, Klirren und Grollen übrigbleibt. Kunstvoll, aber sinnlos, kalt und voller Selbstmitleid in ihrer Apotheose des Schmerzes ist diese Musik so recht eigentlich eine Widerspiegelung der polnisch-katholischen Attitüde.

Zu einer gewissen Spannung verhalf allenfalls die Auffassung als geräuschhafte Illustration der Handlungspassagen, die sich aus der begleitenden Lektüre des Textes erschloß, den das Programmheft lateinisch und deutsch wiedergab. Überspringende Trommeltöne markierten die römischen Soldaten, Flötengeschrille und helle Streicher den grellen Spott der Peiniger. Die Vorführung vor Pilatus wurde von einem Klanggewebe eingeführt, welches an das Tongestöber sich dicht überlagernder Kurzwellensendersignale erinnerte.

Die ungefähr zeitgleich entstandene Chorsinfonie „Babi Jar“ von Dmitri Schostakowitsch, vor Jahren am gleichen Ort zu hören, erschließt sich durch ihre musikalische Dramatik und reißt den Hörer ohne Atempause in ihren Bann. Dort ist äußerstes menschliche Leiden Klang geworden, die offensichtliche Sinnlosigkeit des Leidens in sinnlicher Klangkunst geborgen. Die Passion des Polen ist so recht eigentlich eine nihilistische Kantate geworden ist.

Immer wieder ereignet sich ein Abpfeifen, Wegschnappen und Versiegen des Orchesterklanges und schmerzliche Sprünge des Solisten-gesanges zwischen den Tonhöhen. Die Klage des Jeremias „Jerusalem, bekehre dich zum Herrn, deinem Gott“ wird vom Chor angemahnt und später in eindringlicher Steigerung vom Sopran (Sandra Trattnigg) wiederholt.

Neben dieser akustischen Mimesis des Schmerzes und der Pein wird auch im Lobpreis keine Innigkeit zugelassen: Zu neutönerischem Aufschrillen gesellt sich gregorianisches Gebrummel. Ein Preisgesang, der nicht von Engeln, sondern von frommen Gespenstern vorgetragen wird. Eine rechthaberische Kunst, von der im Zuhörer nichts zurückbleibt oder sich anreichert, außer der Perfektion der Technik. Der strahlende E-Dur-Schluß hat keine Vorgeschichte, es gibt keine Entwicklung in dem Werk, aus der er abzuleiten wäre. Er steigt herab, wie der Deus ex machina auf die leichenübersäte Bühne einer Shakespearschen Tragödie.

Hervorragend war die interpretatorische Leistung in Dresden, auch die der solistischen Gäste, vor allem aber das aufnahmebereite Publikum, dessen Toleranz (lat. Duldungsfähigkeit) fruchtbarere Proben zu gönnen wären.

Das Konzert wird am 18. April im Deutschlandradio Kultur gesendet.

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