© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Die Edlen aus der Eisenzeit
Schriftliche Zeugnisse haben sie nicht hinterlassen: Kelten-Schau in Völklingen
Karlheinz Weissmann

Die Hütte in Völklingen ist nicht nur Industriedenkmal und Weltkulturerbe, sondern auch ein ungewöhnlicher Ausstellungsort, zumal für eine historische Schau, die sich mit einer antiken Kultur befaßt. Immerhin können Unübersichtlichkeit und Dunkelheit der riesigen Maschinenhalle den Besucher darauf einstimmen, daß man es mit Exponaten zu tun hat, die uns zwar ästhetisch ansprechen, deren Entstehungswelt aber doch sehr fremdartig ist, schon den römischen und griechischen Zeitgenossen „barbarisch“ erschien.

Während man lange Zeit von Vorurteil oder Propaganda ausging, wird diese Einschätzung heute durch archäologische Ergebnisse eher bekräftigt, die nicht nur die Bedeutung der Kopfjagd für die Kelten, sondern auch die Verbreitung von Menschenopfern belegen. Das alles tritt in Völklingen eher in den Hintergrund. Die beiden größeren Räume, in denen der Besucher Gelegenheit hat, das Keltische „anzufassen“, indem man Repliken zusammengestellt und den Nachbau des Festungstors eines Oppidums (befestigte Siedlung) aufgebaut hat, vermitteln vor allem den Eindruck von fröhlicher Buntheit und fortgeschrittenem Entwicklungsstand, dessen Niveau sicher unter dem der Mittelmeergebiete lag, aber doch weit entfernt war von Primitivität.

Eine Wahrnehmung, die durch die übrigen Bereiche der Ausstellung bestätigt wird, die ein überwältigendes Bild vom Reichtum des eisenzeitlichen West- und Mitteleuropa vermittelt. Dessen Grundlage war die Durchsetzung einer stärker hierarchisierten, von einem Kriegeradel geführten Ordnung im Übergang von der Hallstatt- zur Latènezeit. Die Bedeutung dieser Aristokratie und ihrer legendären Tapferkeit erklärt nicht nur die Menge an Waffen außergewöhnlicher Qualität und Schönheit in Völklingen, sondern auch das Vorhandensein der vielen Stücke, die offenbar nur der Repräsentation dienten. Manchmal handelte es sich um Direktimporte oder Beute aus dem Süden, manchmal um Abwandlungen, aber häufig auch um eigene Produkte, bei denen man zwar noch das fremde Modell erkennt, aber auch die außergewöhnliche Schöpferkraft der keltischen Handwerker und Künstler.

Neben den Kriegern spielten die Druiden – „Naturphilosophen und Opferpriester“ wie Bernhard Maier sie in seinem Katalogbeitrag charakterisiert – die entscheidende Rolle im Aufbau der keltischen Gesellschaft. Wir wissen zwar von Plinius dem Älteren, daß sie in weißen Gewändern auftraten und mit goldenen Sicheln Misteln schnitten, aber sonst sind unsere Kenntnisse ausgesprochen begrenzt. Das hängt vor allem mit dem druidischen Verbot zusammen, irgend etwas von Belang aufzuschreiben; ein sicheres Mittel, die Arkana zu wahren.

Wichtig sind deshalb indirekte Zeugnisse, und wer noch keine Gelegenheit hatte, den Gundestrupkessel im Kopenhagener Nationalmuseum zu sehen, sollte die Möglichkeit in Völklingen wahrnehmen, wo man das imposante, ganz aus Silber gefertigte Stück aus der Spätlatènezeit (etwa 100 bis 15 vor Christus) bewundern kann. Es gibt wenige Überreste der keltischen Zivilisation, die uns deren eingangs erwähnte Fremdheit so deutlich vor Augen führen wie dieses Gefäß. Die aus dem Metall getriebenen Figuren wirken etwas ungelenk im Vergleich zu zeitgleich entstandenen griechischen oder römischen, aber sie sind eindrucksvoll genug: die Symbole, die bärtigen Männerköpfe oder die Figur im Lotussitz mit einem Hirschgeweih auf dem Kopf, flankiert von Schlange und Hund, die Festszene mit den Kriegern, die Eberhelme tragen, am Rand Musikanten mit dem Carnyx, der keltischen „Trompete“, gegenüber eine wesentlich größere Figur mit Pferdeschwanz-Frisur, die einen Mann kopfüber in ein Gefäß stürzt.

Wir ahnen so wenig, was diese zentrale Darstellung bedeuten soll – die Interpretationen reichen von Menschenopfer bis Initiation –, wie wir die Namen der keltischen Gottheiten sicher bestimmen können. Auch das ist eine Folge der von den Druiden verfügten Schriftlosigkeit, die entscheidend dazu beiträgt, daß sich das geheimnisvolle Dunkel über dem Keltentum niemals ganz lichten wird.

Man wirbt in Völklingen damit, die „größte Keltenschau“ aller Zeiten zu präsentieren: 150 Exponate auf 6.000 Quadratmetern. Das ist sicher richtig, und jeder dürfte beeindruckt sein von der großen Zahl der Stücke, der Mühe, die es gekostet hat, die wertvollen Leihgaben zu bekommen. Andererseits fällt ein Vergleich mit der legendären Keltenausstellung in Rosenheim (1993) und der Exposition in der Frankfurter Schirn zum Keltenfürsten vom Glauberg (2002) eindeutig zuungunsten Völklingens aus. Das hat vor allem zu tun mit der fehlenden Konzentration auf die einzelnen Exponate und einem gewissen Desinteresse an der wissenschaftlichen Dimension des Themas. Man darf sich in dieser Einschätzung nicht nur durch das mit der Ausstellung verbundene Bücherangebot bestätigt fühlen, sondern auch durch den Katalog selbst, der zwar opulent bebildert wurde und kursorische Abhandlungen bietet, aber nur wenig, was den darüber hinaus interessierten Leser und Betrachter zufriedenstellt.

Die Ausstellung „Die Kelten. Druiden – Fürsten – Krieger“ ist noch bis zum 22. Mai in der Völklinger Hütte zu sehen. Der Katalog kostet in der Ausstellung 19,90 Euro.

 www.voelklinger-huette.org

Foto: Silberner Kessel von Gundestrup, etwa 100 bis 15 v. Chr., Höhe 42 cm: Das geheimnisvolle Dunkel über dem Keltentum wird sich niemals ganz lichten

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