© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Gipfeltreffen der Print-Dinosaurier
Internetkonkurrenz: Wie sich fünf der wichtigsten Printmedien des Westens gegenseitig Mut zusprechen
Michael Ludwig

Auf den weiten, noch immer fetten Weiden des professionellen Journalismus geht ein Gespenst um, das das nahe Ende der klassischen Informationsvermittlung verkündet. Seine vorgebrachten Argumente sind durchaus überzeugend – um Revolten oder gar Revolutionen wie jüngst im arabischen Raum anzuzetteln, werden weder Zeitungen noch Fernsehsender benötigt, sondern die schnelle und gezielte Vermittlung von Informationen, wie sie Twitter und Facebook bewerkstelligt.

Vor allem die Jugend, so sagt uns das Gespenst, habe die Diktatoren aus ihren Palästen und von ihren Thronen gejagt, und die habe mit den Medien aus der guten alten Gutenberg-Zeit nichts mehr am Hut. Kein Wunder also, daß in den Häusern der führenden Zeitungen und Magazine die Alarmglocken schrillen und sich dort viele den Kopf darüber zerbrechen, wie der klassische Journalismus vor seinem drohenden Untergang gerettet werden kann.

In Madrid trafen sich im Frühjahr unter der Federführung der größten spanischen Tageszeitung El Pais die Chefredakteure der New York Times, des Guardian, von Le Monde und dem deutschen Nachrichtenmagazin Spiegel, um eben dieses Thema und seine Bedrohlichkeit auszuloten.

Im großen Veranstaltungssaal des Museums Reina Sofia, in dem normalerweise Kunstbeflissene erlesene Bilder der zeitgenössischen Moderne bestaunen können, eröffnete der Redaktionsleiter von El Pais, Javier Moreno, die Debatte mit dem Satz, „daß die sozialen Netze der neuen Informationsgesellschaft die Basis für das öffentliche Aufbegehren waren“. Aber eben nur die Basis, nicht aber die Ursache, und deshalb erklärte Moreno im gleichen Atemzug: „Die Bürger von Tunis brauchen Wikileaks nicht, um den Grad der Korruption ihrer Regierung und den in ihrer unmittelbaren Umgebung zu erkennen. Aber die Informationen darüber hatten natürlich Auswirkungen, und die spornten den vorhandenen Mißmut an. Sie waren gewissermaßen der Zünder.“

Ein Großteil der Diskussion drehte sich um Wikileaks und das, was die Internetplattform mit Enthüllungen weltweit in Gang gebracht hat. Kein Wunder, denn El Pais, Guardian, Le Monde, New York Times und Spiegel waren jene einflußreichen Medien, die sich zusammengeschlossen hatten, um den Wust an Informationen, den Wikileaks ins Netz gestellt hatte (nach Auskunft von Alan Rusbridger vom Guardian waren es etwa 300 Millionen Wörter – im Gegensatz zu den Pentagon-Papieren, die lediglich 2,5 Millionen gehabt hätten), aufzuarbeiten und in einen allgemein verständlichen Kontext zu stellen.

Daß sie damit zu Verrätern von Staatsgeheimnissen wurden, wiesen die Chefredakteure weit von sich, und so klangen ihre Debattenbeiträge über weite Strecken wie Verteidigungsreden in eigener Sache. Das Zauberwort hieß in diesem Zusammenhang „Transparenz“, und die zu ermöglichen sei Aufgabe einer funktionierenden Presse. Sylvie Kauffmann von Le Monde wies darauf hin, daß Wikileaks die Funktion eines Transmissionsriemens zwischen Demokratie und Presse übernommen habe. Nach den Worten von Bill Keller, dem Chefredakteur der New York Times, hat seine Zeitung die Regierung in Washington von der beabsichtigten Veröffentlichung vorab in Kenntnis gesetzt, in den USA die übliche Vorgehensweise, wenn man Informationen mit sensiblem Charakter publizieren will. „Wir nahmen die Bedenken, die uns die Behörden mitteilten, sehr ernst. Aber wir entschieden uns, zu veröffentlichen. Ich glaube, daß die Zeit gezeigt hat, daß es korrekt war.“

Dennoch bleibt für die Vertreter der traditionellen Medien das Internet mit seinen vielfältigen Möglichkeiten letztlich eine Herausforderung, der sie mit gemischten Gefühlen gegenübertreten. Das gilt vor allem für die wirtschaftliche Seite. Viele Informationsquellen werden im Netz kostenlos angeboten, wer sich aus der Zeitung informieren will, muß sie in der Regel bezahlen. Nach Ansicht von Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo verlangt guter Journalismus, ganz gleich, ob er nun gedruckt ist oder online steht, nach Geld, um existieren zu können. Er kleidet diese These in ein plakatives Bild: „Das Wochenmagazin Spiegel kostet vier Euro, das gleiche, was für einen Milchkaffee bei Starbucks verlangt wird. Ist das zuviel, wenn man weiß, daß 250 hart arbeitende Journalisten dahinterstehen, die jede Woche Exklusives behandeln, die in Libyen sind oder in irgendeinem anderen Teil der Welt, wo sich gerade etwas ereignet?“ Und Sylvie Kauffmann weist darauf hin: „Man sagt, daß die neuen Technologien die Zeitungen töten werden, aber ich denke, daß das Gegenteil kommt. Wir müssen uns ihrer bedienen. Es öffnet sich eine Palette von Möglichkeiten: eine Vervielfältigung der Themen, Steigbügel, die wir nutzen können, eine Vielzahl von Quellen.“

Balsam auf die verunsicherte Seele der traditionellen Journalisten trug ein Teilnehmer auf, der erklärte: „Journalisten sind Erzähler von Geschichten, und Geschichtenerzähler hat es schon immer gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Da spielt es keine Rolle, ob man sich Twitter ausgedacht oder Papier bedruckt hat.“

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