© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/11 08. April 2011

Datendübel
Ein Berliner Künstler zementiert USB-Sticks in die Mauern der Großstädte
Toni Roidl

Ein „toter“ Briefkasten gehört zum Inventar von Spionagekrimis oder Kinderabenteuern. In der Facebook-Gesellschaft wird das Abenteuer digitalisiert: So wie aus der guten alten Schnitzeljagd mit Hilfe von GPS-Sendern „Geocaching“ wurde, ist der tote Briefkasten 2.0 kein gelber Briefkasten mehr, sondern ein USB-Stick.Ausgedacht hat sich das – war doch klar – ein Künstler: Der knapp 40jährige Berliner Aram Bartholl startete die Aktion im vergangenen Jahr in New York als Kunstprojekt. Er speicherte einige Videos auf herkömmlichen USB-Sticks und zementierte diese in die Mauerfugen Manhattans, so daß nur noch das silberne Anschlußteil herausschaute.

Gedacht hat sich Bartholl dabei eine „Datentankstelle“ für jedermann. Einfach Laptop oder iPhone anstöpseln und Daten speichern – oder eigene hinzufügen. Die Idee verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Inzwischen gibt es USB-„Dead Drops“ (englisch für tote Briefkästen) in Berlin, in Erfurt und selbst in der fränkischen Provinz. Das Verstecken, Entdecken und Öffnen der Daten-Briefkästen macht Spaß. Auf dem eingemauerten Stick in Erfurt sind verschiedene Internetlinks, eine Audiodatei mit Beethovens Siebenter, ein Straßenkunst-Magazin und Lieder lokaler Musikbands gespeichert. Einige Besucher haben sich mit kurzen Textnachrichten verewigt.

Natürlich birgt die Sache aber Gefahren: Auf den Datenträgern können strafbare Inhalte sein, Pornographie oder illegale Kopien, die gegen das Urheberrecht verstoßen. Auch vor Viren und Trojanern muß man sich in acht nehmen. Für den Künstler gehört das Risiko dazu: Daß sich das Projekt als Selbstläufer ohne Kontrolle fortsetzt, gehört zum Konzept. Die Nutzer müssen sich mit den üblichen Begleiterscheinungen öffentlicher Netzwerke selbst herumschlagen.Dennoch eine originelle Idee.

Und wer sagt eigentlich, daß es immer verquaste Kunst sein muß, die auf diesem Weg in die Welt gesetzt wird? Genauso lassen sich zum Beispiel Internetverweise auf konservative Blogs, eine PDF-Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT oder Flugblattmotive mit Thilo Sarrazin oder dergleichen abspeichern und einzementieren. Konservative Kreativität ist gefragt.

Allerdings ist es ratsam, den Datenstift vor dem Einbau in eine geeignete Mauerlücke zu präparieren. Zum Schutz vor Nässe und Diebstahl wird empfohlen, die Hülle zu entfernen und den Stick für optimalen Halt dick mit Komponentenkleber einzustreichen. Findige Tüftler werden bestimmt bald passend geformte Dübel entwickeln. Damit kein Gebäudeeigentum beschädigt wird, sei darauf hingewiesen, daß es zum Kodex gehört, die „Briefkästen“ natürlich nur in vorhandene Fugen einzupassen.

Während das „Geocaching“ in einigen Regionen schon zur Plage wird, hat die Verbreitung der „Dead Drops“ eben erst begonnen. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND)  zeigte sich bereits alarmiert, scheuchen die „Geocacher“ auf der Suche nach versteckten Tupperdosen im Wald doch die Rehe auf, wodurch Wildunfälle dramatisch zunehmen.

Das dürfte bei den Briefkastenbesuchern nicht passieren, schließlich werden die Datensticks nicht in Bäume, sondern in Mauern gebohrt. Vielleicht muß man sich bald nicht mehr über Passanten wundern, die statt nach vorn zu schauen, den Blick ständig an der Wand lang richten.

Übersichtskarte der „Datendübel“ mit Straßennamen und Fotos  www.deaddrops.com

Foto: Ein Nutzer der eingemauerten Datenträger: Die Idee lädt zu einer konservativ-subversiven Aktion ein

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